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Seine Exzellenz Eugène Rougon

Seine Exzellenz Eugène Rougon

Titel: Seine Exzellenz Eugène Rougon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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meine Aufwartung
machen zu können«, sagte er, wie er unter solchen Umständen
pflegte.
    »Aber die Mutter ist ja da!« erwiderte Clorinde und wies mit
ihrem Bogen von vergoldetem Holze in eine Ecke.
    Wirklich lag die Gräfin dort hinter den Möbeln in einem großen
Lehnstuhl. Allgemeines Erstaunen. Die drei politischen Flüchtlinge
schienen von ihrer Anwesenheit ebenfalls nichts gewußt zu haben,
denn sie erhoben sich und grüßten sie. Rougon eilte, ihr die Hand
zu drücken. Er stand vor ihr, und sie, in ihrem Sessel liegend,
antwortete ihm einsilbig mit jenem Lächeln, das sie beibehielt,
auch wenn sie litt. Dann versank sie wieder in Schweigen und
blickte zerstreut auf die Straße hinaus, auf der ein Wagenstrom
vorüberflutete. Da sie sich ohne Zweifel zu diesem Zwecke dorthin
gesetzt hatte, verließ Rougon sie wieder.
    Inzwischen hatte Ritter Rusconi von neuem vor dem Klavier Platz
genommen und suchte nach einem Liede, leise klimpernd und
italienische Worte dazu summend. Herr La
Rouquette fächelte sich mit dem Taschentuche. Clorinde hatte sehr
ernst wieder ihre malerische Stellung eingenommen, und Rougon ging,
nachdem die Ruhe wiederhergestellt war, langsam auf und ab und
musterte das Zimmer. Es war mit einem erstaunlichen Wirrwarr von
Sachen angefüllt: ein Sekretär, ein Koffer, mehrere Tische, die in
die Mitte gestellt waren, bildeten ein Labyrinth von schmalen
Gängen; auf der einen Seite lagen Treibhauspflanzen
gegeneinandergelehnt, umgestürzt, mit geknickten, angefressenen
Blättern, in den letzten Zügen; gegenüber ein großer Haufen
trockener Tonerde, worin man noch die Arme und Beine einer Gestalt
erkannte, die Clorinde geformt hatte, als ihr eines Tages einfiel,
die Künstlerin zu spielen. Das ganze weite Gemach bot in
Wirklichkeit nur einen kleinen freien Raum vor einem der Fenster,
wo zwei Sofas und drei Sessel, die nicht zueinander paßten, eine
Art Salon bildeten.
    »Sie können rauchen«, wandte sich Clorinde an Rougon.
    Er aber dankte, er rauche niemals. Sie rief, ohne sich
umzuwenden:
    »Herr Ritter, drehen Sie mir eine Zigarette!«
    Während es geschah, trat wieder Stille ein. Rougon, verdrossen
wegen der Anwesenheit so vieler Leute, wollte nach seinem Hute
greifen. Vorher aber trat er noch auf Clorinde zu und fragte
lächelnd, erhobenen Hauptes:
    »Haben Sie mich nicht gebeten vorzusprechen, um mir etwas zu
zeigen?«
    Sie antwortete nicht sogleich, alle Aufmerksamkeit auf ihre
Haltung wendend, so daß er nochmals fragen mußte:
    »Was wollten Sie mir zeigen?«
    »Mich selbst«, sagte sie.
    Sie sagte es majestätisch, ohne ihre Haltung einer Göttin im
geringsten zu verändern. Rougon trat sehr ernst einen Schritt zurück und hob langsam den Blick zu ihr
empor. Sie war wirklich herrlich anzusehen, mit ihrem reinen
Profil, ihrem schlanken Halse, den eine sanft geschwungene Linie
mit den Schultern verband. Besonders hatte sie die königliche
Schönheit, die eine vollendete Büste verleiht. Ihre runden Arme und
Beine glänzten wie Marmor; ihre linke Hüfte, leicht hervortretend,
gab ihrer Haltung Schwung, die erhobene Rechte enthüllte von der
Achselhöhle bis zur Ferse eine lange, kraftvolle und geschmeidige
Linie, an der Taille zurückweichend, am Schenkel anschwellend. Mit
der Linken stützte sie sich auf ihren Bogen, mit dem ruhigen
Kraftbewußtsein der antiken Jägerin, unbekümmert um ihre Nacktheit,
menschliche Liebe verachtend, kalt, erhaben, unsterblich.
    »Sehr hübsch, vorzüglich!« murmelte Rougon, da er kein anderes
Wort fand.
    In Wirklichkeit fühlte er sich unbehaglich angesichts ihrer
statuenhaften Unbeweglichkeit. Sie schien so sieghaft, so sicher
ihrer klassischen Schönheit, daß er sie, falls er es gewagt hätte,
kritisiert haben würde wie ein Marmorbild, an dem gewisse
Üppigkeiten seine spießbürgerlichen Blicke verletzten; er hätte die
Taille etwas schlanker, die Hüften weniger breit, die Brust weniger
tief sitzend gewünscht. Dann überkam ihn ein sinnliches Gelüste,
sie in die Waden zu kneifen, und er mußte beiseite treten, um sich
nicht dazu hinreißen zu lassen.
    »Haben Sie genug gesehen?« fragte sie, noch immer ernst und
selbstbewußt. Warten Sie, hier ist etwas Neues!«
    Und plötzlich war sie nicht mehr Diana. Sie ließ den Bogen
sinken und wurde zur Venus. Die Hände am Hinterkopfe gefaltet, den
Busen ihm halb zugewandt, die Brüste hebend, lächelte sie mit
halbgeöffneten Lippen, wobei ihre Blicke in die Ferne schweiften;
das Gesicht war wie

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