Seine Exzellenz Eugène Rougon
wollte von diesem Streite nichts wissen, aber mein Mann sagte immer, mit Ihrer
Unterstützung sei das Geld so gut wie gewonnen, und Sie brauchten
nur ein Wort zu sagen, um uns die halbe Million in die Tasche zu
stecken… Nicht wahr, Charbonnel?«
Der vormalige Ölhändler nickte verzweiflungsvoll.
»Das war ein schönes Stück Geld«, fuhr die Frau fort, »und
lohnte der Mühe, darum sein ruhiges Leben ein wenig zu stören. Und
wie ist unser Leben gestört! Wissen Sie, Herr Rougon, daß gestern
die Wirtschafterin unseres Hotels sich geweigert hat, unsere
schmutzige Tischwäsche zu wechseln! Mir muß solches widerfahren,
mir, die ich in Plassans fünf Schränke voll Leinenzeug habe!«
Sie fuhr fort, sich bitter über Paris zu beklagen, das sie
verabscheute. Sie waren für acht Tage nach Paris gekommen; dann
verfloß Woche um Woche in der Hoffnung, sie würden endlich abreisen
können, und sie hatten sich nichts nachschicken lassen. Jetzt, da
noch kein Ende abzusehen war, hockten sie in ihrem Zimmer, aßen,
was die Wirtschafterin ihnen zu bieten für gut hielt, ohne Wäsche,
fast ohne Kleider. Sie hatten nicht einmal eine Bürste, und Frau
Charbonnel mußte sich bei ihrer Toilette eines zerbrochenen Kammes
bedienen. Zuweilen setzten sie sich auf ihren kleinen Koffer und
weinten vor Müdigkeit und Wut.
»In dem Gasthofe verkehren so zweifelhafte Leute!« brummte Herr
Charbonnel mit verschämten Augen. »Neben uns wohnt ein junger Mann.
Wir hören da Dinge… «
Rougon faltete den Brief zusammen und sagte:
»Meine Mutter gibt Ihnen den vorzüglichen Rat, zu warten. Auch
ich kann Ihnen nur zureden, sich in Geduld zu fassen… Ihre Sache
scheint mir gut; aber jetzt bin ich abgetreten und kann daher
nichts mehr versprechen.«
»Wir reisen morgen heim!« rief Frau Charbonnel in einem Anfall
von Verzweiflung.
Sogleich aber wurde sie kreideweiß, so daß
ihr Gatte sie stützte. Einen Augenblick sahen sie einander stumm an
mit zitternden Lippen und drohten in Tränen auszubrechen. Sie waren
betäubt, als ob plötzlich die halbe Million vor ihnen in Rauch
aufgegangen sei.
Rougon fuhr freundlich fort:
»Sie haben einen gefährlichen Gegner. Rochart, der Bischof von
Faverolles, ist selbst gekommen, um 'die Ansprüche der
Ordensschwestern zu unterstützen. Ohne seine Dazwischenkunft hätten
Sie längst gewonnen. Die Geistlichkeit ist heutzutage leider sehr
mächtig… Aber ich habe Freunde hinter mir; ich hoffe, ich kann
etwas tun, ohne selbst hervorzutreten. Sie haben so lange gewartet,
und wenn Sie morgen abreisen… «
»Wir bleiben, wir bleiben!« stammelte Frau Charbonnel eifrig.
»Ach, Herr Rougon, diese Erbschaft kommt uns teuer zu stehen!«
Rougon wandte sich lebhaft zu seinen Papieren. Er warf einen
Blick durch das Zimmer und freute sich, daß er niemanden mehr sah,
der ihn in eine Fensternische hätte ziehen können; die ganze Bande
war gesättigt. In einigen Minuten kam er mit seiner Arbeit tüchtig
vorwärts. Er hatte eine ihm eigene, fast rohe Munterkeit, womit er
der Leute spottete und sich für die Langeweile rächte, die man ihm
verursachte. Eine Viertelstunde lang war er schrecklich für seine
Freunde, deren Geschichten er so gefällig' angehört hatte. Er
zeigte sich selbst gegen die hübsche Frau Bouchard so hart, daß ihr
die Tränen in die Augen traten, ohne daß sie dabei aufgehört hatte
zu lächeln. Die Freunde, die an seine Keulenschläge gewöhnt waren,
lachten darüber; denn niemals stand es besser um ihre
Angelegenheiten, als wenn Rougon sie in solcher Weise
mißhandelte.
Da klopfte es bescheiden an der Tür. Er aber
rief Delestang, der öffnen wollte, zu:
»Nein, nein, lassen Sie! Will man sich über mich lustig machen?
Mein Kopf ist schon ganz wirr!«
Da an der Türe heftiger gerüttelt wurde, brummte er zwischen den
Zähnen:
»Wenn ich bliebe, wie würde ich diesen Merle an die Luft
setzen!«
Es klopfte nicht mehr. Aber plötzlich öffnete sich in der Ecke
eine kleine Tür, und man erblickte einen ungeheuren Rock von blauer
Seide, der sich rücklings hereinschob. Und dieser sehr helle, mit
Bandschleifen geschmückte Rock blieb da einen Augenblick zur Hälfte
innerhalb des Zimmers, ohne daß man sonst noch etwas sah; nur eine
dünne Frauenstimme hörte man von draußen her lebhaft sprechen.
»Herr Rougon!« rief die Frau, endlich ihr Gesicht zeigend. Es
war Frau Correur, die einen Hut trug, der mit einem Rosenbündel
besetzt war. Rougon, der mit geballten Fäusten näher gekommen
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