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Seine Exzellenz Eugène Rougon

Seine Exzellenz Eugène Rougon

Titel: Seine Exzellenz Eugène Rougon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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werden?«
    Er sah sie scharf an, und ein Verdacht keimte in ihm auf. Aber
sie sah gerade jetzt, schmachtend in den Sessel hingegossen, als ob
der Kummer ihres »guten Freundes« sie ganz gebrochen habe, so
entzückend aus, daß er den leichten Schauer, den er im Nacken
fühlte, nicht beachtete. Sie sagte ihm
viele Schmeicheleien: er werde gewiß nicht lange abseits stehen,
sondern eines Tages wieder der Herr werden. Sie war überzeugt, daß
er große Pläne hege und auf seinen Stern vertraue; sie las es auf
seiner Stirn. Warum mache er sie nicht zu seiner Vertrauten? Sie
sei so verschwiegen und werde so glücklich sein, an seiner Zukunft
Anteil zu haben! Trunken und bemüht, die kleinen Hände zu
erhaschen, die sich immer wieder in den Spitzen verbargen, redete
Rougon immer weiter, bis er ihr alles mitgeteilt hatte, was er
wußte und was er hoffte. Sie trieb ihn nicht vorwärts weder mit
Blicken noch mit Gebärden, sondern ließ seiner Rede freien Lauf aus
Furcht, ihn aufzuhalten. Sie zerlegte und prüfte ihn Glied um
Glied, untersuchte seinen Schädel, wog seine Schultern, maß seine
Brust ab. Das war entschieden ein starker Mann, der sie trotz,
ihrer Kraft mit einer Handbewegung auf den Rücken werfen und
unbekümmert um alles sie so hoch emportragen könne, als sie nur
wolle.
    »Welch guter Freund!« rief sie plötzlich. »Ich habe nie daran
gezweifelt!«
    Sie hatte sich erhoben, breitete die Arme aus und ließ die
Spitzen niedergleiten. Jetzt erschien sie nackter als zuvor,
streckte den Busen vor und ließ ihre Schultern gleich einer
verliebten Katze mit einer so anmutigen Bewegung aus der Gaze
schlüpfen, daß sie aus ihrem Mieder zu springen schien. Es war ein
schnell vorübergehender Anblick, gleichsam eine Belohnung und ein
Versprechen für Rougon. Waren nicht die Spitzen von selbst
hinabgeglitten? Sie nahm sie schon wieder auf und knüpfte sie
fester, wobei sie flüsterte:
    »St! Luigi grollt.«
    Dabei lief sie zum Maler, beugte sich wieder zu seinem Nacken
und redete ihm eifrig zu. Als Rougon ihre warme,belebende Nähe nicht mehr empfand, rieb er sich heftig
die Hände, ernüchtert, fast unwillig. Sie hatte eine ganz
außerordentliche Reizung an der Oberfläche seiner Haut
hervorgerufen, und er schimpfte aus Leibeskräften auf sie. Mit
zwanzig Jahren wäre er nicht so albern gewesen wie jetzt. Sie nahm
ihn wie ein Kind in die Beichte, während er sich seit acht Wochen
bemühte, sie zum Sprechen zu bringen, ohne ihr etwas anderes als
ein helles Lachen zu entlocken. Sie hatte ihm nur einen Augenblick
ihre Händchen zu entziehen brauchen, und er hatte, um sie wieder zu
erlangen, sich soweit vergessen, daß er ihr alles sagte! Nachdem
sie ihn erobert, überlegte sie ohne Zweifel, ob es noch die Mühe
lohne, ihn zu verführen.
    Rougon lächelte, wie ein Riese lächeln würde. Er konnte sie
zerschmettern, wenn er wollte. Hatte sie ihn nicht herausgefordert?
Er kam auf unredliche Gedanken, auf einen Verführungsplan; er
wollte ihr Herr sein und sie dann im Stiche lassen. Wahrlich, er
konnte vor diesem Mädchen, das ihm so die Schultern zeigte, nicht
den Dummkopf spielen. Und doch war er nicht ganz sicher, ob sich
die Spitzen nicht von selbst gelöst hätten.
    »Finden Sie, daß ich graue Augen habe?« fragte Clorinde
zurückkehrend.
    Er erhob sich und sah sie in der Nähe an, was die Ruhe und
Klarheit ihrer Augen nicht zu trüben vermochte. Doch als er die
Hände vorstreckte, gab sie ihm einen Klaps. Er habe nicht nötig,
sie zu berühren. Sie war jetzt sehr kalt. Sie hüllte sich in ihre
Spitzen mit einer Schamhaftigkeit, die sich durch das kleinste Loch
verletzt fühlte. Er hatte gut scherzen, sticheln, sich stellen, als
wolle er Gewalt anwenden; sie hüllte sich immer mehr in die Spitzen
ein und stieß leise Rufe aus, wenn er die Spitzen streifte. Auch
wollte sie sich nicht mehr setzen und sagte:
    »Ich möchte lieber ein wenig gehen, das macht
mir die Beine wieder gelenkig.«
    Er folgte ihr also, und sie schritten nebeneinander auf und ab.
Er suchte sie jetzt seinerseits in die Beichte zu nehmen, aber
gewöhnlich beantwortete sie seine Fragen gar nicht. Ihre
Unterhaltung bewegte sich in Sprüngen, dazwischen Ausrufe und
Geschichten, die kein Ende nahmen. Als er sie vorsichtig über eine
vierzehntägige Reise befragte, die sie im vorigen Monate mit ihrer
Mutter unternommen hatte, tischte sie ihm eine endlose Reihe von
Reiseerlebnissen auf. Sie war überall gewesen, hatte alles gesehen,
England, Spanien,

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