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Seine Exzellenz Eugène Rougon

Seine Exzellenz Eugène Rougon

Titel: Seine Exzellenz Eugène Rougon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Deutschland. Dann folgte ein Hagel kindischer
Bemerkungen über das Essen, die Moden und über das Wetter. Zuweilen
begann sie eine Erzählung, worin sie selbst mit bekannten
Persönlichkeiten eine Rolle spielte; Rougon spitzte die Ohren in
dem Glauben, ihr werde endlich eine vertrauliche Mitteilung
entschlüpfen; aber entweder schloß sie die Geschichte mit
Kindereien oder gar nicht, indem Clorinde zu etwas anderem
überging. So erfuhr er an diesem Tage wieder nichts; sie lachte wie
gewöhnlich, um ihr wahres Gesicht zu verbergen, und blieb
undurchdringlich inmitten ihres Geschwätzes. Rougon, durch diese
verblüffenden Aufklärungen, die einander widerlegten, betäubt,
wußte schließlich nicht mehr, ob er ein zwölfjähriges Kind,
unschuldig bis zur Dummheit, vor sich habe oder ein sehr schlaues
Weib, das die Verstellung bis zur Kindlichkeit treibt.
    Clorinde unterbrach die Erzählung eines Abenteuers, das ihr in
einer kleinen spanischen Stadt zugestoßen war; es handelte sich um
die Höflichkeit eines Reisenden, dessen Bett sie hatte annehmen
müssen, während er sich mit einem Stuhle begnügte.
    »Sie sollen nicht in die Tuilerien zurückkehren«,
sagte sie dann ohne jeden Übergang. »Man
soll dort Bedauern nach Ihnen fühlen.«
    »Vielen Dank, Fräulein Macchiavell«, versetzte er lachend.
    Sie lachte noch mehr, gab ihm aber nichtsdestoweniger
Ratschläge. Wenn er noch versuchte, sie zum Scherz in den Arm zu
kneifen, wurde sie unwillig und rief, man könne keine zwei Minuten
ernst miteinander reden. Ach, wenn sie ein Mann wäre! Wie würde sie
vorwärts kommen! Die Männer haben alle so wenig Witz!
    »Bitte, erzählen Sie mir die Geschichte Ihrer Freunde«, nahm sie
wieder das Wort und setzte sich auf den Tischrand, während Rougon
vor ihr stehen blieb.
    Luigi, der sie nicht aus den Augen ließ, schloß heftig seinen
Malkasten und sagte:
    »Ich gehe fort.«
    Aber Clorinde lief auf ihn zu, führte ihn zurück und
versicherte, sie werde gleich wieder ihre Stellung einnehmen. Sie
schien sich davor zu fürchten, mit Rougon allein zu bleiben. Als
Luigi nachgab, suchte sie Zeit zu gewinnen und bat:
    »Sie werden mir wenigstens erlauben, etwas zu essen! Ich habe
einen Hunger… Nur zwei Bissen!«
    Sie rief zur Tür hinaus:
    »Antonia! Antonia!«
    Dann gab sie italienisch einen Befehl. Kaum hatte sie sich
wieder am Tischrande niedergelassen, als Antonia eintrat, in jeder
Hand ein Butterbrötchen. Sie reichte die Brötchen ihrer Herrin wie
auf einer Platte mit dem Lachen eines gekitzelten Tieres, wobei ihr
roter Mund in dem schwarzen Gesicht sich spaltete. Darauf ging sie
und wischte die Hände am Rocke ab; Clorinde rief sie jedoch zurück
und bestellte ein Glas Wasser.
    »Wollen wir teilen?« fragte sie Rougon. »Die Butter ist sehr gut. Zuweilen streue ich Zucker darauf, aber
man muß nicht immer so naschhaft sein.«
    Das war sie wirklich nicht, denn Rougon hatte sie eines Morgens
dabei getroffen, wie sie ein Stück kalten Eierkuchen vom Vorabend
zum Frühstück verzehrte. Er hatte sie im Verdachte des Geizes, der
bekanntlich ein Laster der Italiener ist.
    »Drei Minuten, nicht wahr, Luigi?« rief sie, in das erste
Brötchen beißend.
    Dann kehrte sie sich wieder zu Rougon, der noch immer vor ihr
stand, und fragte:
    »Was ist zum Beispiel die Geschichte des Herrn Kahn? Wie ist er
Abgeordneter geworden?«
    Rougon unterzog sich auch diesem neuen Verhör in der Hoffnung,
irgendeine vertrauliche Mitteilung von ihr zu erzwingen. Er wußte,
daß sie sich sehr neugierig nach dem Leben eines jeden erkundigte,
bei allen Mitteilungen die Ohren spitzte, unaufhörlich auf der
Lauer lag nach den verwickelten Ränken, die sie umgaben. Die großen
Vermögen interessierten sie besonders.
    »Oh!« antwortete er auf ihre Frage, »Kahn ist der geborene
Abgeordnete. Ihm müssen die Zähne auf den Kammerbänken gekommen
sein. Unter Ludwig Philipp saß er schon im rechten Zentrum und
stützte die verfassungsmäßige Monarchie mit jugendlichem Feuer.
Nach 48 ging er mit demselben Feuer zum linken Zentrum über; er
hatte ein republikanisches Glaubensbekenntnis in erhabenem Stile
geschrieben. Heute ist er zum rechten Zentrum zurückgekehrt und
verteidigt leidenschaftlich das Kaisertum. Seiner Herkunft nach ist
er der Sohn eines jüdischen Bankiers aus Bordeaux und leitet jetzt
die Hochöfen bei Bressuire, beschäftigt sich vorzugsweise mit
industriellen und Finanzfragen und lebt ziemlich bescheiden in
Erwartung des großen Vermögens, das

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