Seine Heiligkeit: Die geheimen Briefe aus dem Schreibtisch von Papst Bendedikt XVI. (German Edition)
bedrohlicheres
Szenario zu skizzieren, haben seine Vorgesetzten ihn wider besseres Wissen
gedeckt, weil es opportun war? Feltri jedenfalls war in seinem Wahn
unvorsichtig genug, Spuren zu hinterlassen: so etwa wenn er (vom ersten Tag an)
von der »Begleichung von Rechnungen innerhalb der Kirche« sprach. Oder als er
die Information streute, das Rundschreiben sei ihm »von der vatikanischen
Gendarmerie« zugespielt worden.
Und weshalb sollte man nicht anmerken, zumindest unter uns,
Monsignore, dass das Interview, das am 31. August im Corriere della Sera erschienen ist und das Herr Professor
Vian zwar nicht persönlich, aber doch in seiner Funktion als Chefredakteur des Osservatore Romano autorisiert hat und in dem massiv Kritik
an meiner Person geübt wurde, heute durchaus nicht mehr als eine unbedachte,
von Eitelkeit diktierte Äußerung erscheint? Unter anderem muss man sich doch
fragen, weshalb jenes Interview nicht richtig eingeordnet wurde, geschweige
denn, dass man sich von ihm und den damit verbundenen Folgen distanziert hätte,
obwohl diesbezüglich eine eindeutige Stellungnahme seitens des Vorsitzenden der
Italienischen Bischofskonferenz vorlag. Ich glaube nicht, um Ihnen gegenüber
ganz offen und ehrlich zu sein, dass Bertone bis ins letzte Detail über die von
Vian geleitete Aktion informiert war. Letzterer hat aber möglicherweise, wie
schon in anderen Notlagen, darauf vertrauen können, im Sinne seines
Vorgesetzten zu handeln: Wäre Boffo erst einmal von seiner Funktion entbunden,
würde schwerlich jemand an seine Stelle treten, der sich so nachdrücklich für
eine Kontinuität zwischen Kardinal Ruini und Kardinal Bagnasco in der Leitung
der CEI
einsetzt. Und ein solcher Bezug zwischen Vians Initiative und Kardinal Bertone
musste umso plausibler wirken, als selbst Paolo Bonaiuti, der
Regierungssprecher Berlusconis, irgendeinem im Palazzo Chigi akkreditierten
Journalisten off the record anvertraute: »Wir haben
Bertone einen Gefallen getan.« Daher rührt vermutlich das Unbehagen, das der
Ministerpräsident zu Beginn der Affäre erkennen ließ, um sich dann öffentlich
von der Schmutzkampagne zu distanzieren und – das ist eine Tatsache – Feltri zu
verpflichten, die Boffo zugefügte Schande wiedergutzumachen.
Sie sehen, Monsignore, es ist eine seltsame Sache mit den
Journalisten: Manchmal setzen sie Nachrichten in die Welt, die jeder sicheren
Grundlage entbehren, ein anderes Mal sammeln sie Bruchstücke und lassen sie in
ihren Dossiers reifen, bis die Dinge von allein ihren Lauf nehmen. So ist mir
etwa bekannt, zumal ich mich darüber mit Kollegen unterhalten habe, dass einige
von ihnen Äußerungen notiert haben, die Vian während jener polemischen
Auseinandersetzung gemacht hat, etwa als er vom »Mut« sprach, den Feltri mit
seinem Artikel »bewiesen« habe. Und ich weiß auch von einem Satz, der Feltri in
der Redaktion herausgerutscht ist: »Ah, Vian, in diesen Tagen ist es besser,
seinen Namen nicht direkt zu nennen.« Im engeren Umfeld des Giornale wird heute darüber gespottet, dass sich der Chefredakteur des Osservatore Romano einem skrupellosen Mann wie Feltri
ausgeliefert hat …
Darüber hinaus sind mir auch die Indiskretionen bekannt, die Sandro
Magister im Oktober in seinem Blog veröffentlicht hat. Dort bezichtigt er Vian
ausdrücklich, Autor eines gewissen Artikels zu sein, in dem die Verleumdungskampagne
gerechtfertigt wird. Er ist im Giornale unter dem
Pseudonym Diana Alfieri erschienen. Ich versichere Ihnen, dass Vians Replik auf
diese Indiskretion derart gewunden ausfiel, dass sie unter Eingeweihten eher
Zweifel weckte als ausräumte. Und dennoch war ich bis zu diesem Zeitpunkt
überzeugt, dass wir uns auf der Ebene von Mutmaßungen und Verdächtigungen
bewegten. Heute hingegen sehe ich mich objektiv nicht mehr in der Lage, den von
so vielen Seiten bestätigten Tatbestand zu ignorieren, dass Vian der Drahtzieher
der Affäre ist.
Wenn auch kein Zweifel daran besteht, weshalb Feltri die eigene
Kampagne mehrfach »gerechtfertigt« hat und jene bloßstellte, die es wagten, das
private Verhalten Berlusconis zu kritisieren, so werden die Motive, die Herrn
Professor Vian dazu veranlasst haben, in der hier dargelegten Weise zu handeln,
in keinem Dokument wirklich deutlich. Doch abgesehen davon, dass er in seinen
Kontakten zu Journalisten gar zu sehr daran gewöhnt ist, sich zu weit aus dem
Fenster zu lehnen, kann ich mich hier auf einige Äußerungen stützen, die von
Vian persönlich
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