Seine Heiligkeit: Die geheimen Briefe aus dem Schreibtisch von Papst Bendedikt XVI. (German Edition)
Nuntius
Hochwürdigsten Herrn
Monsignor Peter B. Wells
Assessor für die Allgemeinen Angelegenheiten
Staatssekretariat
Vatikanstadt
Zur Kenntnisnahme – Wells
Dokument 2 [2]
Vertraulich
An Monsignor Georg Gänswein
Mir wurde mitgeteilt, dass ich Ihnen diesen Brief zusenden kann;
ich hoffe, dass dies kein Missverständnis ist. In jedem Fall ist es mir eine
Freude, Ihnen meine besten Wünsche zum soeben begonnenen Jahr zu übermitteln.
Mit ergebenster Hochachtung,
Dino Boffo
(5 Blätter, einschließlich dieses Anschreibens)
Streng vertraulich
Treviso, 6. Januar 2010
Hochwürdigster Monsignore,
vermutlich wissen Sie, was mir seit Ende August bis heute
widerfahren ist, beginnend mit meinem Rückzug von der Leitung des Avvenire und den anderen CEI-Medien, zu dem mich eine
Verleumdungskampagne gezwungen hat, bis hin zur Rücknahme dieser
Anschuldigungen durch denjenigen, der sie vor allem verbreitet hat: den
Chefredakteur des Il Giornale , Dottor Vittorio
Feltri. Das Dementi erfolgte exakt drei Monate nach meinem Rücktritt, am 4. Dezember
2009.
Ebendieses Dementi ist auch der Anlass dafür, die Umstände zu
erörtern, die zu diesem Brief geführt haben. Wenngleich es von den Medien bei
Weitem nicht so stark aufgegriffen wurde wie mein Abgang, hat es mich in die
Lage versetzt, mit einer Welt in Berührung zu kommen, die mir bis dahin
unbekannt war. Durch die informellen Kontakte, die der Entscheidung von Dottor
Feltri zum Widerruf vorausgingen und die in einem Treffen meines Anwalts mit
dem Chefredakteur des Giornale gipfelten, um ihm
Einsicht in alle den von ihm kolportierten Fall betreffenden Dokumente zu
gewähren, vor allem aber durch die sich seither ergebenden Kontakte bin ich
verschiedenen Vertretern besagter Tageszeitung begegnet, und ich erlangte
Kenntnis von einer wichtigen Hintergrundinformation: Es war Professor Gian
Maria Vian, der Chefredakteur des Osservatore Romano ,
der Feltri das gefälschte Dokument zu meinem Schaden zugespielt hat. Dieser hat
nicht nur definitiv den Text des anonymen Briefs Anfang Mai des vergangenen
Jahres in Kreisen der Katholischen Universität und der römischen Kurie in
Umlauf gebracht, mit dem Ziel, meine Bestätigung im Kontrollorgan dieser
Universität, dem Comitato Toniolo, zu verhindern. Er hat auch den Eindruck
erweckt, als ob die Gerichtssache, die den Anstoß für den Brief gab, einen
gesicherten Fall von Homosexualität betreffe, in dem ich der Hauptakteur sei –
als Homosexueller, der, diesem widerwärtigen Gerede zufolge, in verschiedensten
Kreisen bekannt sei, angefangen im klerikalen Milieu, von dem ich schuldbewusst
gedeckt worden sei, um mein heikles Amt als Chefredakteur von Presseorganen,
die der Italienischen Bischofskonferenz unterstehen, weiterhin unbehelligt
ausüben zu können.
Selbstverständlich, Monsignore, entgeht mir weder, wie
schwerwiegend diese Enthüllung ist, noch könnte ich mich, der die Folgen der
Verleumdung zu tragen hat, je selbst zu etwas Derartigem hinreißen lassen. Ich
habe mich entschlossen zu sprechen, heute an hoher und vertraulicher Stelle zu
sprechen, weil ich nicht schweigen kann über das, was ich in Erfahrung gebracht
habe und was die Aufgaben des Heiligen Stuhls so unmittelbar berührt. Es ist
nicht nötig, dass ich Ihnen genauer erkläre, wie sehr ich darauf bedacht
gewesen bin, nicht in eine Falle zu geraten, und dass ich wochenlang nicht glauben
konnte, was sich vor meinen Augen offenbarte.
Andererseits, Monsignore – wie sollte ich es verschweigen? –, ist
es doch gerade dieser unerwartete Mosaikstein, der angesichts einer Reihe von
Umständen, die bislang in gewisser Weise in der Schwebe geblieben sind,
Klarheit zu bringen verspricht. Stellen Sie sich die zehn Tage vor, in denen
die Verleumdungskampagne im Giornale in die Wege
geleitet wurde, ohne Rücksicht auf jeden Einwand, der zwischenzeitlich im Avvenire oder auch in anderen Zeitungen veröffentlicht
worden war, und unbeeindruckt auch von den glaubwürdigen und zuverlässigen
Informationen, die auf informellem und vertraulichem Wege in die Redaktion
gelangten. Die veröffentlichte Version soll Feltri – wie er behauptet – »von
einem glaubwürdigen, ja über jeden Zweifel erhabenen Informanten bestätigt
worden sein. Warum also zurückrudern? Wäre es nicht denkbar, dass die
angebliche moralische Verworfenheit des Avvenire -Chefredakteurs
seinen Vorgesetzten nicht bekannt war? Oder, um ein noch
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