Seine Heiligkeit: Die geheimen Briefe aus dem Schreibtisch von Papst Bendedikt XVI. (German Edition)
wenige Tage zuvor aufmerksam gemacht hat:
Eminenz,
schon zu
Beginn dieses Pontifikats hegten wir in unserem Herzen den Wunsch, der Heilige
Vater möge an dem Treffen teilnehmen. Doch die vielfältigen Verpflichtungen,
die Reisen, die Weltjugendtage haben es uns stets nahegelegt, von einer Anfrage
diskret Abstand zu nehmen. In diesem Jahr jedoch drängt uns das Zusammentreffen
mehrerer Ereignisse zu einer Anfrage. 1982 war das Jahr des denkwürdigen
Besuchs des seligen Johannes Paul II. Im selben Jahr wurde die Gemeinschaft
Comunione e Liberazione päpstlich anerkannt. Das Jahr 2012 stellt daher für uns
ein doppeltes und bedeutsames dreißigjähriges Jubiläum dar und bietet somit
einen sehr außergewöhnlichen Rahmen, um den Heiligen Vater willkommen zu
heißen. Ich kann nicht umhin, Eurer Eminenz anzuvertrauen, dass mich der
Heilige Vater am 19. Juni in San Marino, wo ich die Ehre einer kurzen
Begegnung mit ihm hatte, mit den Worten begrüßte: »Wir haben uns lange nicht
gesehen! Arbeiten Sie immer noch für das Treffen?« Offenkundig waren dem
Heiligen Vater noch die Begegnungen in Erinnerung, die er uns seit seiner
Teilnahme an dem Treffen 1990 alljährlich gewährte. Wir unterbreiteten ihm das
Motto, das wir jedes Jahr wählen, empfingen dankbar seine Überlegungen und
seine Kommentare und erlaubten uns – weniger diskret als in den vergangenen
Jahren –, ihn einzuladen. Das diesjährige Thema, »Die Natur des Menschen ist
die Beziehung mit dem Unendlichen«, könnte, so wagen wir zu hoffen, das
Interesse des Heiligen Vaters finden. Sollte dies der Fall sein, Eminenz,
würden wir uns glücklich schätzen, nicht nur, weil wir durch Ihr Wohlwollen
unsere Einladung an den Heiligen Vater richten könnten, sondern auch weil wir
uns in unserem Wunsch bestätigt sähen, auch mit diesem Treffen den Anliegen und
der Lehre dieses großen Papstes zu dienen. […] Für weitere Nachrichten oder
Informationen, die der Erfüllung dieses Wunsches dienlich sein können, stehe
ich Ihnen jederzeit zur Verfügung. Eminenz, ich werde diesen Wunsch bei meiner
bevorstehenden Pilgerfahrt auch der Muttergottes von Fátima vortragen,
verbunden mit meinem Gebet für Sie und für den Heiligen Vater, das ich mir erlauben
werde an Maria zu richten. Ergebenst, Emilia Guarnieri.
Bertone zeigt dem Heiligen Vater den Brief. Ratzinger
liest ihn. Er lächelt, vor allem an den Stellen, wo auf sein gutes Gedächtnis
und den Besuch beim Rimini-Treffen im fernen Jahr 1990 hingewiesen wird, und
erklärt sein Einverständnis. Er wird nach Rimini gehen, um die Jugend von
Comunione e Liberazione zu treffen und damit die öffentliche Aufmerksamkeit
noch stärker auf diese von Don Giussani gegründete Bewegung zu lenken. Der
Staatssekretär ist zufrieden. Ein weiteres Mosaiksteinchen bereichert das
kunstvolle Gefüge seiner Macht und der gegenseitigen Unterstützung innerhalb
der großen katholischen Familie. Ein paar Tage später ruft er Ratzingers
Privatsekretär Gänswein an und teilt ihm die Entscheidung des Papstes mit. Ein
ungewöhnlicher Weg der Informationsübermittlung, der wahrscheinlich dem Alter
des Heiligen Vaters geschuldet ist. Nach seiner Begegnung mit Benedikt XVI. schreibt Bertone dem Privatsekretär des
Papstes auch noch einen Brief, um ihn über Benedikts anstehenden Besuch beim
Jahrestreffen der Bewegung Comunione e Liberazione zu unterrichten.
Die bekannten und verschwiegenen Geheimnisse von Marcial Maciel
Für die Legionäre Christi läuft die Sache anders. Das, was
man nicht sieht oder jemandem zu verbergen sucht, scheint dazu bestimmt, früher
oder später ans Licht zu kommen. Die Geister der Vergangenheit kehren zurück
und versetzen sogar die wichtigsten Mitarbeiter des Papstes in Unruhe. So auch
im Falle der Legionäre Christi, deren Glaubwürdigkeit infrage steht, seitdem im
Jahr 2006
der Skandal um ihren Gründer ans Licht gekommen ist: Fälle von Pädophilie,
Kinder mit mehreren Frauen, sexueller und psychischer Missbrauch. In der
offiziellen Lesart reagiert der Vatikan mit einer gewissen Langsamkeit. Nach
einer mehr als ein Jahr dauernden Untersuchung verfügt die Glaubenskongregation
unter Leitung von Kardinal William Joseph Levada im Jahr 2006 Maciels Verzicht auf
die Ausübung kirchlicher Ämter. Bis zu seinem Tod im Jahr 2008 in Miami bleibt Maciel
die Amtsausübung untersagt (»suspensio a divinis«).
Im Mai 2010
bringt die zweite Apostolische Visitation von fünf Bischöfen das ganze Ausmaß
des
Weitere Kostenlose Bücher