Seine Heiligkeit: Die geheimen Briefe aus dem Schreibtisch von Papst Bendedikt XVI. (German Edition)
September
unterzeichnet der Kommissar das zehnseitige Abschlussdokument, den »Bericht an
den Heiligen Vater über die Legionäre Christi«. In neun Punkten wird ein Bild
dieser wichtigen Bewegung gezeichnet, das Ausmaß der Traumata beschrieben, die
sie erlitten hat, und ausgelotet, wie mit Maciels peinlichem Erbe umgegangen
wird.
Nach Abschluss der Untersuchung hält der päpstliche Delegat fest,
dass der Orden derzeit gespalten ist: auf der einen Seite diejenigen, die
Klarheit fordern und das Ausscheiden der engsten Mitarbeiter Pater Maciels
verlangen; auf der anderen Seite jene, die die Sache möglichst schnell hinter
sich bringen wollen. Diese Gruppe ist die größere:
Man muss zur
Kenntnis nehmen, dass viele Legionäre keine klaren Vorstellungen vom Urteil des
Heiligen Stuhls haben. Einige ältere Legionäre und einige Superioren (auch
junge) halten nach wie vor daran fest, der Papst und der Heilige Stuhl hätten
sich von der Person und vom Lebenswandel P. Maciels zu übertriebenen
Vorstellungen hinsichtlich der Folgen für das Leben der Kongregation hinreißen
lassen. Daher bitten sie um Geduld, bis alles vorbei ist und man wieder zum
vorherigen Status quo zurückkehren kann. Andere Legionäre sind vom Inhalt des
Bulletins [der offiziellen Verlautbarungen des Heiligen Stuhls] vom 1. Mai 2010 tief betroffen: »P.
Maciels Verhalten hat Konsequenzen für das Leben und die Einrichtungen der
Legion nach sich gezogen.« Sie sind der Ansicht, man könne erst dann den Weg
der Erneuerung beschreiten, wenn eines der größten Hindernisse auf diesem Weg
beseitigt ist: der Verbleib der alten Oberhäupter an der Spitze der
Organisation. Daher betreiben sie weiter eine Propaganda der Entmutigung und
Verunglimpfung dieses Wegs, vertiefen die Spaltung und verursachen Probleme.
Die Zahl der Opponenten, besonders in dieser Gruppe, ist zwar ziemlich klein,
aber sie sind sehr kampfbereit. [5]
»Besonderes Augenmerk« verdiene daher »der Gebrauch der
Kommunikationsmittel«, die nach Ansicht von De Paolis einige Geistliche
»ausgiebig genutzt haben, um sich beinahe als Kontrolleure und Deuter des
einzuschlagenden Wegs zu empfehlen – mit einer ziemlich kritischen Einstellung,
die vielfach zu einer gewissen Verwirrung und Verzagtheit oder zum Rückzug
geführt hat, wobei sie mit einer gewissen Hartnäckigkeit darauf hinweisen, es
gebe keinen Fortschritt und keinen Weg«. Ein regelrechter »Dissens«, der sich
mit denjenigen, die die Kongregation »bereits verlassen hatten«, verbünden kann
und damit womöglich »eine Spaltung oder einen Aderlass« verursacht. [6] Nach Ansicht des Kardinals fehlt es also »nicht an Anlässen zur Verzagtheit und
auch Angst«, wie sie von denen geschürt werde, die den Schock über die
Geschichte des Gründers für unüberwindbar halten: »Für sie gibt es das Neue
nicht, es ist in ihren Augen nicht einmal in Sicht. Auf diese Weise hält sie
ihr eingeengtes Denken ausweglos gefangen und weckt Unbehagen und Abneigung
gegenüber der Berufung.« [7]
Ein anderer kritischer Bereich sind die roten Zahlen und die
wachsenden Schulden des Ordens. Dem Heiligen Vater werden die Zahlen nicht
mitgeteilt, doch infolge des Skandals sind die Spendengelder deutlich
zurückgegangen. Die Kassenprüfung obliegt Kardinal Domenico Calcagno, einem
engen Vertrauten Bertones. Es wird erwogen, Immobilien zu veräußern, was jedoch
in der Immobilienkrise als ein waghalsiger Schritt erscheint. De Paolis fasst
die Situation folgendermaßen zusammen:
Die
wirtschaftliche Lage ist zwar nicht gravierend, aber dennoch ernst und
schwierig. Die Schuldenlast ist beträchtlich, sei es wegen der allgemeinen
Wirtschafts- und Finanzkrise, sei es wegen der Probleme, mit denen die Legion
konfrontiert ist (Glaubwürdigkeitsverlust, Rückgang der Spenden etc.), sei es
wegen des Rückgangs der Seminaristen aus denselben Gründen. In der aktuellen
Krise ist der Wert der Immobilien gesunken, die man jetzt wegen der Marktlage
zu Preisen weit unter Wert verkaufen müsste, um die Schulden zu bezahlen. Es
gab jedoch keine illegalen Geschäfte oder Veruntreuungen. Die wirtschaftliche
Organisation der Legion entspricht freilich nicht ganz den Kriterien der
kirchlichen Rechtsordnung bezüglich der Ordensleute. Ein Problem, das wir
mehrfach angegangen sind, das aber nach wie vor ungelöst ist und sich als sehr
komplex erweist, ist die Unternehmensgruppe Integer, die sich vielfältiger
Kritik ausgesetzt sieht, in finanzieller ebenso
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