Seine Heiligkeit: Die geheimen Briefe aus dem Schreibtisch von Papst Bendedikt XVI. (German Edition)
seit etwa dem Jahr 2000
konkrete Anhaltspunkte gewonnen. Erste Maßnahmen hätten aber erst 2006
ergriffen werden können. Heute nun eine neue Wahrheit. Wenn es stimmt, was
Moreno behauptet, wusste man im Vatikan schon drei Jahre früher als offiziell
behauptet über das Verhalten des Gründers der Legionäre Christi detailliert
Bescheid und hätte Maßnahmen ergreifen können, was jedoch erst 2006
geschah. Warum? Die Hinweise stammten überdies nicht von einem Opfer, das aus
Hass heraus handeln könnte, sondern von einem idealen Zeugen: Maciels Sekretär,
der 18 Jahre lang Tag für Tag den Ordensgründer begleitete und daher die geheimsten
Facetten seines Doppel- und Dreifachlebens kannte.
Mehr noch: Moreno behauptet, er habe sogar »JP II« persönlich informieren wollen. Das Kürzel
meint eindeutig Papst Johannes Paul II.
Und warum unternahm man nichts? Warum wollten weder Johannes Paul II. noch der damalige Staatssekretär Sodano der
Sache auf den Grund gehen? Warum wollte Sodano den Geistlichen nicht einmal
anhören?
Mit seiner Enthüllung verbaut sich Moreno seine Zukunft, daher
erscheint er umso glaubwürdiger, wenn er sich selbst bezichtigt, »belastendes
Material« vernichtet zu haben. In der Gesprächsnotiz steht nichts weiter
darüber. Man weiß nicht, worin dieses »belastende Material« im Einzelnen
bestand, aber die Information müsste für die Untersuchung des kommissarischen
Leiters der Legionäre, De Paolis, doch eigentlich von Interesse sein. Doch der
fertigt Moreno in wenigen Minuten ab. Der Kardinal hat offenkundig ein anderes
Ziel im Blick, das er nicht einmal zu verbergen sucht. De Paolis hat nie ein
Hehl daraus gemacht, dass seine Untersuchung nicht sehr tiefschürfend sein
würde. »Ich sehe den Sinn und Zweck weitreichender Ermittlungen nicht.« Und er
schließt weitere Nachforschungen aus: »Wir würden Gefahr laufen, uns mit einem
endlosen Schlamassel konfrontiert zu sehen. Es handelt sich um allzu private
Dinge, als dass ich sie ergründen könnte.« [4] Und so treten nach
einjähriger Untersuchung lediglich zwei Maciel nahestehende Personen von der
Bühne ab: Luís Garza Medina, seit 1992 Generalvikar der Legionäre, und Evaristo Sada,
seit 2005
deren Generalsekretär.
Die Legionäre: der Geheimbericht an Benedikt XVI.
Die Mitarbeiter des Papstes versuchen zu verstehen, warum
Moreno ausgerechnet jetzt diese brisanten Wahrheiten auf den Tisch legt, durch
die schon immer kursierende Verdachtsmomente bestätigt werden: dass nämlich
höchste Stellen in der römischen Kurie Maciel eine Zeit lang deckten und den
Anschuldigungen nicht nachgingen, über die Personen mit höchster Machtfülle im
Vatikan Bescheid wussten. Gänswein überbringt die Botschaft Benedikt XVI., doch der Heilige Vater hat noch den
zweiten Bericht über die Legionäre auf dem Schreibtisch, den De Paolis im
September vorgelegt hatte, nach einjähriger Aufklärungsarbeit: den Bericht der
vom Papst eingesetzten, aus mehreren Experten bestehenden
Untersuchungskommission. Neben dem Vorsitzenden Mario Marchesi, einem engen
Vertrauten von De Paolis, konnte die Kommission auf die Mitarbeit dreier
weiterer Berater bauen: Bischof Brian Farrell, Sekretär des Päpstlichen Rates
für die Förderung der Einheit der Christen, Pater Gianfranco Ghirlanda und
Pater Agostino Montan. Der Krisenstab unterteilte sich in mindestens vier
Sonderkommissionen zu weiteren internen Problemen: Konstitutionen, Finanzen,
Universitäten und – der heikelste Punkt – »die Kommission zur Annäherung«, eine
Bezeichnung, die dem kühlen vatikanischen Pragmatismus geschuldet ist:
Tatsächlich hat die Kommission, gleichfalls unter Marchesis Vorsitz, die
Aufgabe, mit den Opfern Maciels die finanzielle Wiedergutmachung auszuhandeln.
Das schnöde Geld also. Die Kommission muss sich den Opfern »annähern« und sie –
entsprechend uns nicht bekannten Parametern des Heiligen Stuhls – auf den Weg
einer gerechten und angemessenen Entschädigung führen.
Das Dossier enthält einen ersten Bericht, gleichfalls aus der Feder
von De Paolis, in dem es um die Vorwürfe gegen Maciel geht. Dieser Bericht
hatte Benedikt XVI. veranlasst, die »dringende
Notwendigkeit einer tief greifenden Überprüfung des Charismas und einer
Überprüfung der Konstitutionen« anzumahnen, mit anderen Worten, einen sehr viel
radikaleren Wandel; das geht aus dem vertraulichen Schreiben zur Ernennung De
Paolis’ zum päpstlichen Delegaten der Kongregation hervor. Im
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