Seine Heiligkeit: Die geheimen Briefe aus dem Schreibtisch von Papst Bendedikt XVI. (German Edition)
Skandals ans Licht. Und das Urteil ist irreversibel. Schwere Zeiten für die
Legionäre Christi: »Es war alles andere als leicht«, wird Álvaro Corcuera,
Generaldirektor der Kongregation, dem Papst anvertrauen, »die Pater Maciel
betreffenden Fakten zu übermitteln. Es tat uns sehr weh, als wir uns immer
deutlicher der verborgenen Aspekte seines Lebens bewusst wurden. Uns blutete
das Herz, handelte es sich doch um unseren eigenen Gründer.« Verstörende Worte
für den Heiligen Vater, der beschließt, Corcuera eine aufmunternde Antwort zu
geben. Einen Monat später kommt es zu einem Treffen. Es ist der 17. Juni
2010.
Laut der Aktennotiz zu dieser Begegnung ist Benedikt XVI.
vor allem von Punkt 3A
des von Corcuera verfassten Dokuments tief betroffen. Darin äußert Corcuera die
Befürchtung der Legionäre, in einen »nachkonziliaren Revisionismus zu fallen,
der zu einem falschen Bruch mit der Tradition des religiösen Lebens der Kirche
führt und im Bemühen um Erneuerung den stets vorhandenen Tendenzen der
Erschlaffung und der Verweltlichung nachgibt«. Ratzinger nimmt das Signal auf.
Er ist besorgt, die Situation könnte dem Heiligen Stuhl entgleiten. Er reicht
das Dokument umgehend an Bertone und an Kardinal Velasio De Paolis weiter, der
kurz vorher zum kommissarischen Leiter des Ordens ernannt worden war. De Paolis
geht mit Entschlossenheit vor. Er versucht zu ergründen, was geschehen ist, um
den Aderlass der Kongregation möglichst gering zu halten: 70 von 890 Priestern und ein
Drittel der geweihten Laienschwestern haben die Bewegung bereits verlassen oder
spielen mit diesem Gedanken. [3]
Uns vorliegende Dokumente enthüllen nun ganz neue Aspekte: unbequeme
Tatsachen, die eine Neubewertung des bisher Durchgesickerten notwendig machen.
Eine irritierende Wahrheit kommt ans Licht. Die Sekretäre des Papstes erfahren
sie am 19. Oktober
2011
um neun Uhr morgens. Im Büro im dritten Stock des Apostolischen Palastes wird,
aus Mexiko kommend, diskret Don Rafaele Moreno vorstellig. Er gehört nicht zu
den zahllosen Missionaren Südamerikas. Der Priester war 18 Jahre lang Maciels
Privatsekretär und damit der engste Mitarbeiter und Mitwisser des Padre Padrone
der Bewegung. Er lebt seit langer Zeit in Brasilien, doch seitdem der Gründer
gestorben ist, quält ihn ein Kummer. Die Geschehnisse, deren Protagonist im
Guten, vor allem aber im Schlechten Maciel war, wurden von der vatikanischen
Hierarchie nie gründlich untersucht. Als Gast der Pfarrei Nostra Signora di
Guadalupe in der Via Aurelia in Rom hat Moreno bereits Anfang des Monats dem
Papst geschrieben und seine Irritation über die Vorgehensweise des Delegaten De
Paolis zum Ausdruck gebracht, dem er vorwirft, dem Missbehagen der Legionäre
nicht Rechnung zu tragen.
Heute aber möchte Moreno eine Wahrheit enthüllen, die, wie er sagt,
viele nicht hören wollten. Die meisten haben sich abgewandt und so getan, als
wäre nichts. Auf allerhöchster Ebene wurden die Vorwürfe jenseits der
offiziellen Wahrheiten viele, viele Jahre lang ignoriert. So behielt Moreno die
unsäglichen Geheimnisse des Missbrauchs für sich, und nun nagen sie Tag für Tag
an seinem Gewissen. Dies ist die erschütternde Geschichte, die Moreno an jenem
Herbstmorgen den Sekretären Benedikts XVI.
mitteilen möchte, damit der Heilige Vater davon Kenntnis erhält. Gänswein
empfängt ihn. Er hört sich die Schilderungen an, macht sich Notizen. Die
Geschichte ist so bestürzend, dass der Sekretär in seiner deutschen
Muttersprache schreibt, die ihm schneller von der Hand geht. Wenige knappe
Sätze. Er verabschiedet Moreno und schließt sich in seinem Büro ein. Er liest
noch einmal, was er geschrieben hat, um seine Worte genau abwägen zu können,
wenn er anschließend Ratzinger von dieser schmerzlichen Unterredung berichten
wird:
Privatsekretariat
Seiner Heiligkeit
19.10.2011
Unterredung: 9.00 – 9.30
bei mir
Unterredung
mit D. Rafaele Moreno, Privatsekretär von M. M.
– war 18 Jahre Privatsekretär von M. M.; von diesem
mißbraucht worden
– hat
belastendes Material vernichtet
– hat
JP II schon 2003 benachrichtigen wollen, dieser hat nicht zugehört; nicht geglaubt
– wollte
Card. Sodano informieren, dieser hat keine Audienz gewährt
– Card.
De Paolis hat zu wenig Zeit gehabt
Eine Gesprächsnotiz von nur acht Zeilen, die jedoch eine
vernichtende Wirkung haben wird. Seinem Biografen Seewald sagte Benedikt XVI., der Vatikan habe
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