Seine junge Geliebte
Schwester an.
»Schwer ist sie nicht, aber es ist ein Eingriff. Und jeder künstliche Eingriff in den menschlichen Organismus ist etwas, das man nicht allzu leicht nehmen sollte.«
Schwester Angelika warf noch einen prüfenden Blick auf das Zimmer. Dann ging sie auf den Flur, holte aus dem Schrank den Wanderapparat und kehrte wieder ins Zimmer zurück. Sie stöpselte den Apparat ein und stellte ihn auf den Nachttisch. »Sie fassen sich bitte kurz.«
»Es wird nicht lange dauern.« Er nahm den Hörer ab, wartete, bis Schwester Angelika das Zimmer verlassen hatte, dann wählte er Bärbels Nummer. Er hatte plötzlich den Wunsch verspürt, ihre Stimme zu hören, bevor er einschlief.
Er hatte die letzte Zahl gewählt und ließ die Drehscheibe los, die sich in ihre Anfangsposition zurückbewegte. Das Rufzeichen ertönte. Sein Herz schlug höher. Er fühlte, daß die Müdigkeit von ihm abglitt, daß er die Wirkung der Spritze nicht mehr spürte.
Er brachte den Hörer dicht ans Ohr und lauschte dem Rufzeichen. Er wartete, daß sich ihre Stimme meldete, aber nichts geschah. Je länger es läutete, desto unangenehmer empfand er den Pfeifton, der andeutete, daß auf der anderen Seite das Glockenzeichen ertönte.
Einmal glaubte er, daß jemand den Hörer abgenommen hätte. Er rief: »Hallo –«, aber seine Stimme ging im nächsten Rufzeichen unter.
Der Hörer entglitt seiner Hand. Er lauschte dem Rufzeichen, diesem rhythmischen Signal, monoton, andauernd, einschläfernd …
»Ich muß einmal nach Herrn Sartorius sehen!« Schwester Angelika saß mit Dr. Phisto im Dienstzimmer. Der Anästhesist hatte die Krankengeschichten der Patienten eingesehen, die am nächsten Morgen operiert werden sollten. »Er telefoniert schon eine ganze Ewigkeit.« Sie zeigte auf die Kontrollampe des Apparates, die immer noch brannte.
»Vielleicht hat er etwas Wichtiges zu sagen. Er hatte doch so eine attraktive Freundin. Ich könnte mir denken, daß er ihr noch allerhand zu erzählen hat.«
»Unsinn!« Schwester Angelika erhob sich resolut. »Ich habe ihm gesagt, er soll sich kurz fassen. Er blockiert ja unsere Leitung.«
»Das ist doch nicht schlimm.« Dr. Phisto legte beruhigend seine Hand auf den Arm der alten Schwester. »Wir haben doch noch eine zweite Leitung, und die ist frei.«
»Er soll aber schlafen. Sonst hat Dr. Bruckner morgen wieder Mühe, mit ihm fertig zu werden. Sie wissen doch, wie das ist, wenn unausgeschlafene Patienten zur Operation gebracht werden.«
»Zum Glück brauche ich nicht die Narkose zu machen.«
»Man weiß ja nie, ob nicht doch eine Narkose erforderlich wird. Ich sehe nach und nehme ihm den Apparat jetzt weg. Er muß endlich aufhören!« Ärgerlich ging Schwester Angelika aus dem Zimmer, überquerte den Flur und blieb einen Augenblick lauschend vor der Tür des Krankenzimmers stehen. Als sie keine Stimme hörte, klopfte sie leise an und öffnete dann die Tür. Dr. Phisto war ihr gefolgt. Er schaute über ihre Schulter in das Innere und lachte leise vor sich hin. Er deutete mit dem Finger auf den schlafenden Patienten. »Es muß ja eine sehr interessante Unterhaltung gewesen sein. Ich bin noch niemals eingeschlafen, wenn ich mit einer Freundin telefoniert habe.«
Schwester Angelika nahm den Hörer auf, hielt ihn ans Ohr, winkte Dr. Phisto und hielt ihm den Hörer entgegen. »Er hat gar keine Verbindung bekommen. Da ertönt noch immer das Rufzeichen.«
Sie legte den Hörer auf die Gabel, ging zum Ausgang und schaute noch einmal zurück. Peter Sartorius hatte von ihrem Eintritt in das Krankenzimmer nichts gehört. Er schlief, sein Mund war geöffnet. Ein leiser Schnarchton ertönte beim Atmen.
Dr. Phisto schloß die Tür und grinste. »Anscheinend ist der Vogel ausgeflogen. Kein Wunder!« Er folgte Schwester Angelika in das Dienstzimmer. »Ich begreife sowieso nicht, wie eine so attraktive junge Frau mit einem so alten Kerl …« Er schaute den Kalender an, der auf dem Tisch lag: »Dr. Wagner hat heute Oberarztdienst. Wie grauenhaft!«
»Ich kann Sie beruhigen –«, Schwester Angelika klappte den Kalender zu, »nur bis Mitternacht. Dann ist Dr. Bruckner wieder da.«
Dr. Phisto seufzte. »Ich hoffe, wir haben heute Ruhe. Gestern nacht bin ich dreimal aus dem Schlaf geholt worden. Das hält man auf die Dauer nicht aus. Und dann meckern die Leute draußen, wenn man einmal an einem Tag nicht hundertprozentig freundlich ist und lächelt, wenn man mit ihnen spricht. Die haben keine Ahnung, was ein Dienst
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