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Seine junge Geliebte

Titel: Seine junge Geliebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr. Thomas Bruckner
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im Krankenhaus bedeutet! Ich wünschte, wir hätten auch eine Gewerkschaft, die eine Fünfunddreißigstundenwoche durchsetzt.«
    »An modernen Krankenhäusern ist das bereits der Fall. Stellen Sie sich vor …« Schwester Angelika ging zum Schrank, holte eine Flasche mit der Aufschrift Gift aus dem hintersten Regal hervor, nahm zwei Medizingläser und füllte sie bis an den Rand. »Nach den neuesten Vorschriften haben die Krankenschwestern auch nur eine bestimmte Anzahl von Stunden Dienst. Die wechseln dann einfach innerhalb von vierundzwanzig Stunden mehrmals ihren Dienst. Das bedeutet, daß jede Schwester der nachfolgenden genau berichten muß, was auf Station los ist. Dabei geht soviel Zeit verloren, wie man es sich gar nicht vorstellen kann.«
    »Bei Ihnen ist das ganz was anderes!« Dr. Phisto nahm sein Glas in die Höhe, nippte daran und schaute Schwester Angelika bewundernd an. Sein Gesicht war ernst geworden: »Sie sind ja so eine Art Logbuch …«
    »Ein Logbuch?« Schwester Angelika schüttelte erstaunt den Kopf. »Wie soll ich das verstehen?«
    »Wenn ich nachts zu einem Patienten gerufen werde, und ich komme nicht weiter, dann klopfe ich einfach an Ihre Tür. Sie kommen und helfen mir, weil Sie über jeden Patienten genau Bescheid wissen. Sie sind sozusagen der ruhende Pol im Stationsbetrieb. Und der fehlt bei den neuen Schwestern. Da gibt es keine Stationsschwester im alten Sinne, die vierundzwanzig Stunden lang für das Wohl der ihr anvertrauten Patienten ver antwortlich ist. Die genau Bescheid weiß, was jedem einzelnen fehlt, was ihm verordnet worden ist. Ich glaube, wenn der alte Schwesterntyp ausstirbt, wird es für die Patienten sehr schwer werden.«
    »Da sagen Sie es!« Schwester Angelika trank ihr Likörglas leer, nahm Dr. Phistos Glas, ging mit beiden Gläsern zum Waschbecken und spülte sie sauber. »Wenn ich an die Zukunft unserer Krankenhäuser denke, bekomme ich Angst. Die Kostenexplosion ist nicht wiedergutzumachen. Siebzig Prozent der Unkosten eines Krankenhauses gehen auf das Personal. Für das, was wir früher mit einer Schwester erledigten, reichen heute vier nicht aus. Und seitdem die Nonnen sich immer mehr aus dem Krankenhausbetrieb zurückgezogen haben, die ja nun wirklich vierundzwanzig Stunden zur Verfügung haben, ist es besonders schlecht um die Krankenhäuser bestellt.«
    Johann Heidmann und Bärbel Linke bogen in die Darmstädter Straße ein. Heidmann hatte nicht mehr gewagt, Bärbels Hand zu ergreifen. Er fürchtete, er könne alles verderben, wenn er jetzt zu forsch vorginge.
    »Da vorne links ist das Lokal.« Heidmann war stehengeblieben und deutete auf eine Leuchtreklame, die quer zur Straße verlief: »Axels Malkasten.«
    Bärbel schaute Dr. Heidmann lächelnd an. »Ich bin gespannt, wie der Schöpfer meines Bildes aussieht. Ich habe ihn damals nicht kennengelernt. Ich war nicht zur Vernissage, sondern bin ein paar Tage später in die Galerie gegangen. Ist er nett – oder entspricht sein Aussehen seinen düsteren Bildern? Sagen Sie mir nichts –«, Bärbel hob die Hand, als Heidmann antworten wollte, »lassen Sie ihn mich beschreiben, wie ich ihn mir vorstelle: klein, schwarze Augen, die stechend aus seinem Gesicht herausschauen, dunkle Haare, buschige Augenbrauen. So etwa wie Hagen aus der Nibelungensage in Wagneropern dargestellt wird. Ein Mann der Finsternis …« Sie hielt inne, als Johann amüsiert auflachte. »Stimmt es etwa nicht?« fragte sie.
    Er hatte Mühe, seinen Lachanfall zu meistern. »Sie haben da ein sehr schönes Bild entworfen. Das könnte durchaus ein Pendant zu den Bildern meines Schulkameraden sein. Doch ich will Ihnen nichts verraten. Sie werden ja selbst sehen, wie er aussieht. Meistens steht er hinter der Theke und bedient die Gäste. Es sind fast alles Studenten von der naheliegenden Kunsthochschule. Doch ich will Sie nicht länger auf die Folter spannen. Kommen Sie …«
    Er nahm ihren Arm. Dieses Mal ließ sie es ohne Widerstreben geschehen. Er begleitete sie zur Tür des Lokals, griff nach der Klinke, schaute sie lächelnd an, ließ ihren Arm los und öffnete die Tür. »Sie gestatten!« erklärte er, als er ihr voranschritt.
    Sie folgte ihm und schaute sich erstaunt in dem nicht allzu großen Lokal um. Es wirkte sofort anheimelnd. Sie hatte das Gefühl, schon immer hier gewesen zu sein, seit jeher als Stammgast dieses Lokal besucht zu haben. An den wenigen Tischen saßen dicht gedrängt junge Menschen ihres Alters. Sie schauten kaum

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