Seine Toten kann man sich nicht aussuchen: Eine Polizistin erzählt (German Edition)
mein Kollege wissen.
»Ja, wollt ihr euch nicht setzen und ein Bierchen mittrinken?«
Ich betrachte grinsend die Bank, die herrlich in der Frühlingssonne steht, und das einladende Früh Kölsch in Herrn Eichners Hand. »Wollen schon, dürfen aber nicht!« Lachend gehen wir zum Streifenwagen.
»Zeigen Sie die jetzt an, weil die Bullenschlampe zu Ihnen gesagt haben, Frau Binder?«, ruft er mir hinterher.
»Wenn ich jeden anzeigen würde, der mich beschimpft, hätte ich viel zu tun. Da bliebe dann keine Zeit, Ihnen Ihr Bier wiederzubeschaffen!«, erwidere ich und winke.
Er winkt zurück, als wir wegfahren.
»Streit geschlichtet«, fasse ich den Einsatz über Funk zusammen.
»Wunderbar, geht direkt weiter. Acht aufgebrochene Pkw im Flughafenparkhaus!«
Seufzend bestätige ich, und wir fahren in Richtung Flughafen. Viel Schreibkram für nichts. Geknackte Autos sind nur dann interessant, wenn die Täter beobachtet, auf Video aufgenommen oder gar von irgendjemandem gestellt wurden. Alles andere ist lediglich Arbeit, die wir für die Versicherungen machen: Fotos von den Beschädigungen und Auflistungen, was fehlt. In seltenen Fällen finden wir mal ein bisschen Blut an einem eingeschlagenen Fenster oder ein paar Fingerabdrücke auf einer glatten Oberfläche, aber in den meisten Fällen ist es eher frustrierend. Häufig haben die Geschädigten keine Ahnung, was genau aus ihrem Auto fehlt, geschweige denn eine Identifizierungsnummer des Navigationsgeräts oder des Radios notiert, sodass selbst dann, wenn wir bei einem unserer kleinen Übeltäter mal ein paar Radios und Navis finden, die Zuordnung fast nicht möglich ist. Am Flughafen kommt erschwerend hinzu, dass die Geschädigten meist gar nicht da sind, sondern auf Mallorca oder in der Türkei in der Sonne liegen. Also müssen wir uns obendrein noch um die Sicherung der Fahrzeuge kümmern.
Während wir auf den Abschleppdienst warten, der die acht Autos in den dafür vorgesehenen gesicherten Käfig im Parkhaus schleppt, zücke ich mein iPhone und spiele eine Runde TinyWings. Mein Kollege sortiert bereits die Fotos des Unfalls auf der Speicherkarte unserer Kamera. Hier im Parkhaus sieht uns eh keiner, wir können niemandem sonst behilflich sein oder durch eine Kontrolle auf die Nerven gehen, und so vergeht wenigstens die Wartezeit angenehm zügig.
Anschließend nehmen wir zwei kleinere Unfälle auf, zanken uns mit einem Herrn herum, der mit seinem Elektrorollstuhl mitten auf der Straße langfährt statt auf dem Radweg und der all unsere Erläuterungen mit den Worten »Interessiert mich nicht! Ich bin behindert, ich darf das!« kommentiert.
Wir helfen beim Einfangen eines ausgerissenen Schäferhunds am Rheinufer, und als wir gerade die Wache ansteuern wollen, um schnell was zu essen und unsere Anzeigen zu Papier zu bringen, wird uns eine Messerstecherei am Busbahnhof gemeldet. Sofort rennen alle gerade auf der Wache befindlichen Streifenbesatzungen zu den Streifenwagen, Blaulicht und Martinshorn ist aus allen Richtungen zu sehen und zu hören, und wir fliegen mit dem Großaufgebot in den Busbahnhof ein.
Dort gibt es ziemlich schnell Entwarnung: Vier Jugendliche haben sich ein wenig herumgeschubst und Spaß gemacht, Passanten geben an, ein Messer gesehen zu haben. Niemandem ist was passiert. Sofort sinkt unser Adrenalinspiegel wieder, ein Wagen bleibt vor Ort und klärt den genauen Hergang, während mein Kollege und ich uns wieder zur Wache begeben und den zweiten Versuch starten, unseren Schreibkram zu erledigen.
Der Rechner fährt hoch, während ich mir zwei Brote schmiere. Aber wieder ist unser Vorhaben nicht von Erfolg gekrönt: Jugendliche haben in der einbrechenden Dunkelheit einen Gullydeckel auf der Schnellstraße entfernt. Erneut lasse ich alles stehen und liegen, greife mir diesmal aber geistesgegenwärtig meine beiden Brote und laufe zum Streifenwagen.
»Hirnverbrannte Kinder! Wenn da jemand reinfährt, ist Polen offen!«, meint mein Kollege. Ich nicke nur und beiße von meinem Brot ab.
Als wir vor Ort eintreffen, ist natürlich niemand mehr da. Dummerweise ist auch der Gullydeckel nirgendwo zu sehen, und das Loch in der Straße stellt eine echte Gefahr dar.
Wir platzieren den Streifenwagen davor und bauen ein paar Hütchen auf. Während wir auf Mitarbeiter der Stadt warten, die einen neuen Gullydeckel bringen sollen, mache ich es mir auf dem Beifahrersitz bequem und beginne mit meinem verspäteten Mittagessen.
»So gut hätte ich es auch gern mal!«
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