Seine Toten kann man sich nicht aussuchen: Eine Polizistin erzählt (German Edition)
verläuft negativ, also verabschieden wir uns, schärfen der Frau, die mittlerweile schluchzend auf dem Sofa liegt und ihre elende Langeweile beklagt, ein, den Notruf nicht noch einmal zu missbrauchen, erklären ihr, dass dies strafbar ist, wenn sie sich nicht daran hält, und gehen Richtung Ausgang.
» ABER ICH BIN DOCH IN NOT !«, schallt es noch theatralisch hinter uns her, bevor die Haustür ins Schloss fällt.
Kopfschüttelnd steigen wir in den Streifenwagen. »Und dafür mach ich jetzt Überstunden, für eine gelangweilte Nymphomanin!«
»Na komm, jeder andere Kollege hätte sich über den Anblick gefreut, nur du nicht, du Schwuchtel!«, erwidere ich und muss kichern.
»Kleinkind!«, gibt er patzig zurück und fährt uns zur Wache, wo wir den ungläubigen Kollegen von unserem Erlebnis berichten, während der Drucker unsere Anzeigen der ganzen Schicht ausspuckt. Hätten wir jetzt nicht Feierabend, wäre ich mir sicher, dass mindestens zwei männliche Kollegen noch mal bei der Dame vorbeifahren würden – als Service am Bürger und um zu schauen, ob wirklich alles in Ordnung ist. Und vielleicht hätten sie dabei rein zufällig auch noch mal einen Blick unter den Morgenmantel erhascht.
Aber so hänge ich den Streifenwagenschlüssel an den Haken und bin froh, nach Hause zu können und mich auf mein Sofa zu werfen, denn nach sieben Stunden Frühdienst kann man mit mir ohne Mittagsschläfchen den ganzen Tag nichts mehr anfangen.
Freitagnachmittag – Spätdienst
Gänzlich anders strukturiert sind unsere Spätdienste, die am frühen Nachmittag beginnen und bis zum späteren Abend dauern. Es geht hektischer zu, es gibt mehr als doppelt so viele Einsätze, auf der Wache treiben sich mehr Leute zur Anzeigenaufnahme herum, und auch die Einsätze haben meist ein etwas anderes Kaliber. Häufig kommt man nicht mal dazu, aufs Klo zu gehen oder eine Kleinigkeit zu essen. So was wie eine geregelte Mittagspause gibt’s bei uns ja leider sowieso nicht, gefuttert wird, wenn der Bürger es zulässt, und manchmal ist nicht einmal das machbar.
»Wer fährt?« Mein Kollege hält mir den Autoschlüssel vor die Nase und wackelt damit herum.
»Du!«, sage ich und tippe ihm gegen die Brust, während ich unsere Kamera aus der Einsatztasche wühle und die Batterien tausche.
Wir haben noch nicht ganz alle Sachen zusammengesucht, geschweige denn alle Kollegen begrüßt, als es auch schon losgeht. » ICH BRAUCH ZWEI AUTOS ! VU MIT !«, brüllt der Funker durch die Wache. Was, aus dem Polizeideutsch übersetzt, so viel heißt wie: »Verkehrsunfall mit Personenschaden«.
»Kinder, bewegt euren Arsch auf die Straße!«, werden wir noch mal lautstark motiviert. Woraufhin wir brav rausrennen und keine Minute später durch Porz rasen, auf dem Dach das Blaulicht. Der Lärm des Martinshorns dringt in den Fahrzeuginnenraum, und wir müssen sehr laut sprechen, um uns zu verstehen. Hinter uns die Kollegen im zweiten Streifenwagen.
Es ist wie immer im Spätdienst: viel los auf den Straßen, die Leute sind unaufmerksam, bemerken uns zu spät oder auch gar nicht, Fußgänger laufen uns trotz des Lichts und der ohrenbetäubenden Musik auf unserem Dach fast vors Auto, und mein Kollege stiert angespannt nach vorne, während ich an jeder Kreuzung, sobald ich sie einsehen kann, » RECHTS FREI !« über das Geheul hinweg brülle.
Mit quietschenden Reifen kommen wir an. Ein silberner Golf steht quer auf der Fahrbahn, daneben hat sich eine Menschentraube gebildet, ein Rettungswagen ist noch nicht in Sicht.
Auf den ersten Blick kann ich nicht erkennen, wer denn hier verletzt sein soll. Das Auto ist nur leicht beschädigt, und einen zweiten Beteiligten sehe ich nicht.
Wir springen aus dem Streifenwagen und gehen rasch auf die Leute zu, als ich es sehe. Da ist es bereits zu spät, mich innerlich darauf vorzubereiten. »Mist, Janine, das hättest du dir auch denken können!«, murmele ich vor mich hin und werfe einen Blick auf die Grundschule auf der anderen Straßenseite.
Neben dem Auto liegt eine blutdurchtränkte grellorangefarbene Mütze, wie sie die Erstklässler für den Schulweg aufgesetzt bekommen. Daneben ein ausgekippter Schulranzen. Ich dränge mich durch die gaffende Menge. »Ist jemand Arzt? Sanitäter?«
Alle schütteln den Kopf und starren weiter stumm auf den kleinen Jungen herunter, der auf dem Asphalt liegt. Neben dem Kind kniet eine Frau und hält seine Hand. »Ich hab dich nicht gesehen. Es tut mir so leid, ich hab dich nicht
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