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Seine Zeit zu sterben (German Edition)

Seine Zeit zu sterben (German Edition)

Titel: Seine Zeit zu sterben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Ostermaier
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ist so schwer, ich berühre den Vorhang, mein Helm beult den Vorhang aus, jetzt, jetzt, ein schriller Ton, der die Stille durchkreuzt … »Sie haben ihn«, brüllte der Bergwachtler, das Funkgerät am Ohr. »Sie glauben, sie haben ihn, wir müssen alle los, lasst den Pfaffen in Frieden!« Ödön sank in sich zurück, alle Anspannung fiel abrupt von ihm ab, als hätte man mit einem Messer auf eine Plastikpuppe eingestochen und ihr die Luft herausgestochen. Ödön hörte nur seinen Atem aus sich fahren. Wie lange hatte er schon die Luft angehalten?
    Der Pater stand vor dem Beichtstuhl, die drei Männer liefen hinaus, so schnell sie es in Skistiefeln konnten, gruben sich fast in den Rücken des vorauseilenden Bergwachtlers, um mehr zu erfahren, als wäre das Funkgerät der Tabernakel, in dem die Hostie lag, die sie erlöste, wenn man sie auf der Zunge zergehen ließ, jedes einzelne Wort wollten sie wiederholt haben, um sie aus dem Dunkel der Ungewissheit zu lösen. Als sie die schwere Kirchentür aufstießen, liefen sie gegen eine Wand aus dichtem Schneetreiben, Eisspitzen tätowierten ihnen die Gesichter, der Sturm verprügelte sie, ließ seine Wut an ihnen aus, bespuckte sie, trat nach, drückte sie in den Schnee, aber sie standen wieder auf, kannten nur ihr Ziel. Sie hatten die Tür offen gelassen und der Kälte das Tor geöffnet, die jetzt den Raum überrannte, sich breitmachte und in alle Winkel zog, um aus jedem Winkel ihren nächsten Angriff zu starten.
    Der Pater zögerte, aber dann ging er zur Tür und gegen den Wind, sie zu schließen. Seine Rockspitzen flogen in die Luft, Ödön sah am Vorhang vorbei und fror von innen.
    »Ich höre, mein Sohn«, kehrte er auf seinen Platz zurück, das Gesicht auf die gefalteten Hände gestützt.

14
    Joseph vibrierte, das Zittern des Handys in der Tasche wurde zum Zittern seines Körpers, wie Schüttelfrost überfiel es ihn, ein Schauder und Schaudern. Erst beim zweiten Gedanken wurde ihm klar, dass sie ihn per Funk erreichen würden, wenn sie den Jungen gefunden hätten oder etwas passiert wäre. Vielleicht wollte jemand anders ihm die Nachricht als Erstem unterbreiten, dass sie den toten Jungen gefunden hätten? Es hörte nicht auf zu vibrieren. Warum ging er nicht ran? War es der Unbekannte, ob er im Vorraum stand, hereingekommen über den hinteren Eingang bei den Toiletten? Josephs Magen zog sich zusammen, irgendetwas musste passiert sein, er spürte es. Davonlaufen brachte nichts. Wie lächerlich der Gedanke, davonzulaufen, er musste nur durchs Fenster blicken und der Schnee verhöhnte jeden Fluchtgedanken. Warum sollte er auch fliehen wollen, wovor? Vor was? Was hatte er mit allem zu tun? Das Vibrieren hielt an. Es könnte jeder sein. Seine Mutter. Jeder, der Hullers Unfall im Fernsehen gesehen hatte. Oder irgendein Deutscher, der ein Haus kaufen wollte. Die Deutschen riefen, wenn sie Geld hatten, zu jeder Tages- und Nachtzeit an, sie dachten, ihr Geld hebele alles aus, dachten, jeder müsste ihre Gier teilen, wäre in ihrer erbärmlichen Währung für sein Leben zu bezahlen. Nein, er musste rangehen. Gehörte nicht zu ihm, dass er immer ranging? Hatte ihn das nicht schon mehr an Glück gekostet, als er jemals Geld gewonnen hatte? War denn jetzt und heute der richtige Zeitpunkt, das auszufechten? Er könnte zumindest schauen, wer es war.
    Es war Vladimir. Warum rief er jetzt an? Sicher wollte er einen Tisch für den Abend im Rasmushof, nicht im Zelt. Tische im Zelt waren eine Frage des Geldes, das Geld öffnete die Schiebetüren, er wäre willkommen, mit den entsprechenden Scheinen wäre jeder Schein gewahrt und gewährt. Aber im Rasmushof, da waren nur die Einheimischen, da wären im Laufe des Abends alle wirklich Wichtigen, die sich zurückziehen würden aus dem Zelt, weil sie ihre Ruhe haben wollten, weil sie einen Schutzraum suchten vor den Blicken, weil sie einfach noch ein paar Gläser völlig entspannt trinken wollten, weil es familiär war, weil es so war wie früher, als wären sie unter sich und könnten ganz sie selbst sein, sich zurückversetzen in eine Zeit, die gut war, ehrlich war, wo ein Schnitzel reichte und es nicht Kaviar sein musste, wo sie zusammen singen konnten. Es war verrückt und zugleich eine schöne ironische Pointe, dass diese Stube auf einmal der VIP -Raum war und nicht der erste Stock des Zelts.
    Joseph drückte Vladimir weg. Er hatte schlichtweg keine Lust, sich um was auch immer zu kümmern. Sollte es das Glück erlauben, sollte der

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