Seine Zeit zu sterben (German Edition)
Sie aber bitten, das Geheimnis des Beichtenden zu respektieren. Sie können natürlich so lange in der Kirche bleiben. Wenn Sie diese Zeit haben. Die Kirche steht allen offen, Gott ist für Sie da. Aber lassen Sie mich jetzt die Beichte vollenden.«
»Von wo kommen Sie denn her, Herr Pater?«, blaffte der Alte.
»Aus dem Skiinternat«, antwortete der kurz und war dabei, sich wieder in den Beichtstuhl zu setzen, hatte den Vorhang schon in der Hand, als der Bergwachtler ihn zurückhielt. »Herr Pater, bei allem Respekt, nichts Persönliches …«
»Was heißt persönlich, Skiinternat, verstehst du nicht?«, fuhr der Alte dazwischen.
»Herr Pater«, versuchte der Bergwachtler ruhig zu bleiben und drückte den Arm des Alten noch fester, je gefasster er wirkte. »Herr Pater, ich muss darauf bestehen, dass wir den Beichtstuhl überprüfen. Es geht um ein Kindesleben.« »Versündigen Sie sich nicht!« Wie lange würde der Pater sie aufhalten können, fragte sich Ödön. Warum macht er es? Warum bat er ihn nicht einfach, den Vorhang zu lüften und sich zu erkennen zu geben? Aber, was würden sie erkennen? Wen würden sie denn erkennen? Was gäbe es denn zu erkennen? Einen Mann in schwarzer Skikleidung, der mit seinem schwarzen Helm hinter einem violetten Samtvorhang im Beichtstuhl saß. Was hatte er denn zu beichten, würden sie sich schlagartig fragen und, ohne zu zögern, ihn herausziehen und ihm die Beichte abverlangen. Ihn zum Sprechen bringen, bis er das aussprach, was sie hören wollten. Und wenn er nichts sagen würde? Was hatten sie gegen ihn in der Hand? Warum müsste er denn überhaupt Auskunft geben? Was für eine Autorität besaßen sie? Er konnte doch jederzeit die Aussage verweigern, Aussageverweigerungsrecht. Stand er denn unter Anklage? Er war im Begriff, eine Beichte abzulegen. Vor Gott. Aber nicht vor den drei Durchgeknallten. Vor dem Pater, aber der war zum Schweigen verpflichtet, verdammt, verdammt zu schweigen. Aber er konnte nicht schweigen, er würde ihn um Kopf und Kragen, um sein Leben reden wie er auch …
»Tun Sie das nicht«, schrie jetzt der Pater fast. Ödön wusste, er musste handeln, jetzt war alles eine Frage von Sekunden. Er musste eine Entscheidung treffen. Was habe ich noch zu verlieren, fragte sich Ödön, ich habe alles verloren. Tot, alles tot, taub, traumatisiert, verloren bis auf die Knochen und den hintersten Gedanken. Sein Leben war sinnlos, gestand er sich, was ihn noch antrieb, führte nur in den nächsten Tod, zur nächsten Leiche, führte zu den nächsten Tränen, zu noch mehr Trauer, Hass, zielloser Rache. Er konnte ja die Zeit nicht zurückdrehen, den Schlüssel des Lebens nicht zurückdrehen, er war abgebrochen im Schloss, im Schlüsselloch. Es war alles seine Schuld, mach dir doch nichts vor, es ist allein deine Schuld, am Anfang liegt dein Versagen, du hättest es spüren müssen, die ersten Anzeichen erkennen, gegensteuern, Hilfe suchen, eingestehen, ich brauche Hilfe, ich schaffe es nicht allein, ich komm nicht ran, ich kann es ja nicht mit einem Messer rausschneiden, ich kann die Worte nicht an der Zunge herausziehen.
Es muss aufhören, es muss endlich aufhören. Ich bin ein Toter, ein lebender Toter in einem Beichtstuhl, im Herzen den Pfahl, aber ich zerfall nicht zu Asche, Asche über mein Haupt, Asche auf meine Hände, auf meine Stirn, auf meiner Stirn das Aschekreuz, auf seiner, auf seiner Kinderstirn das Kreuz aus Asche, mit dem Daumen gezeichnet, im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Wer ist der Heilige Geist? Das Heilige Gespenst. Flaschengeist. Ich habe getrunken, zu viel getrunken, der Druck, wer kann mit diesem Druck leben, kein Ventil, nur der Druck, jedes Wochenende, Englische Wochen, Zittern unter der Dusche und jetzt zittere ich wieder, ich zittere in den Handschuhen. Sollen sie mich lynchen.
Ödön war mit seinem Handschuh am Vorhang, seine Finger umfassten schon den Saum und waren von außen sichtbar, ein Ruck, und die Situation wird eskalieren, wusste Ödön. Er war bereit. Ich springe, ich stehe oben am Schanzentisch, ich beuge die Knie, mein Blick fällt in die Tiefe, nichts als Himmel, wenn ich nach oben, geradeaus schaue, nichts als Nebel darunter, ein Bett aus Nebel, in das ich rasen werde, bevor sich der Abgrund vor mir auftut, ich denke, ich fliege, aber ich stürze, der Wind erfasst mich, reißt mich herum, schleudert mich, wirbelt mich, ich falle, immer schneller, kopfüber, mein Helm zieht mich hinunter, mein Helm
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