Seitensprung ins Glück
einfach eines Abends auf einem Wägelchen hereingerollt, als handele es sich um einen streunenden Hund. Mein verblüfftes Schweigen war für ihn vermutlich gleichbedeutend mit der Erlaubnis, ihn behalten zu dürfen.
Ich nippe an meinem Anti-Stress-Tee und ignoriere den Kuchen, den meine Mutter gebacken und heute Morgen auf der Türschwelle abgestellt hat. Teufelszeug. Bei den Treffen der Anonymen Übergewichtigen nennen sie so eine wie meine Mutter einen freundlichen Feind . Jemand, der einem die eine Hand reicht, um einem zu helfen, während er einem mit der anderen einen Kuchen mit drei Millionen Kalorien anbietet. Ich blättere lustlos in dem Sexratgeber auf meinem Schoß, bis ich auf einen Artikel stoße, der die Überschrift »Die Geheimnisse von unwiderstehlich gutem Sex« trägt. Ich schaue auf das Foto einer spargeldürren Blondine mit deutlichen Brustimplantaten, die sich in den Armen eines richtig harten Kerls räkelt. Es gibt reichlich Zitate, Ratschläge von wohlmeinenden Lesern, deren Namen geändert wurden, um ihre Privatsphäre zu schützen. Masochistisch, wie ich bin, fange ich an, sie zu lesen. Mein Schnucki und ich leben im Schlafzimmer so richtig auf, indem wir zuerst nackt unser Ego streicheln, bevor wir dann woanders weitermachen … Sie wissen schon, wo! – Jenna P.
Ich weiß, wo, Jenna, obwohl bei mir in letzter Zeit nichts mit Streicheln war. Ich lese weiter. Mamma Mia! Wir haben rausgefunden, dass wir beide richtig »scharf« werden, wenn wir Freitagabends im Bett Spaghetti essen! – Rita S.
Bei diesem Zitat verziehe ich das Gesicht. Da denke ich nur an die Flecken auf den Laken. Tomatensoße ist am schwersten rauszubekommen, ganz egal, was die Waschmittelwerbung verspricht. Ich will die Zeitschrift gerade zuklappen, als mir eine andere Aussage ins Auge springt, die von Kristi M.: Lass uns spielen!, steht da. Ich lese weiter. Baseballspiele im Fernsehen erregen meinen Liebsten total. Deshalb habe ich beschlossen, diese Erregung zu nutzen und mir die Spiele mit ihm anzusehen – wobei ich nichts als einen Stringtanga mit dem Namen seiner Mannschaft vorne drauf trage. Und sobald die Sendung vorbei ist, wird unter der Bettdecke weitergespielt. Nichts wie ran an die Bälle!
»Ha!«, lache ich und ziehe die Bettdecke unters Kinn. Ich weiß genau, wie Kristi M.s Typ drauf ist. Auch Teddy kriegt bei Baseballspielen jedes Mal fast einen Herzanfall. Aber sie mit ihm zusammen anzusehen, nur mit Unterwäsche bekleidet, daran habe ich nie gedacht.
Das bringt mich auf eine Idee.
Zu unserem ersten Hochzeitstag hat Teddy mir feuerwehrrote Dessous von Victoria’s Secret gekauft, die ich still und leise ganz hinten in der Schublade habe verschwinden lassen, wo sie seit drei Jahren ungestört liegen. Ich weiß noch, wie fett ich mich fühlte, als ich sie aus dem eleganten rosa Seidenpapier zog und hochhielt. Der BH war okay – Teddy kannte meine Größe –, aber das Höschen hätte nicht mal einer neunjährigen Schülerin gepasst. Hatte Teddy mir damit etwas sagen wollen? Dass ich sogar schon damals hätte dünner sein sollen, so wie Inga?
Ich schlage die Decke zurück, springe aus dem Bett und fange an, in der obersten Schublade zu wühlen. Ich entdecke sie ganz hinten, immer noch in das Papier eingeschlagen, zerknittert, aber noch in Ordnung. Ich lasse meine Jogginghose auf die Knöchel heruntergleiten, reiße mir das T-Shirt mit der Aufschrift SIND WIR NICHT ALLE EIN BISSCHEN ANDERS? (die gab es bei unserem letzten Betriebsausflug umsonst) vom Leib und zwänge mich in das Höschen.
Wie sich rausstellt, ist es ein Stringtanga. Wer trägt so etwas? Versuchen die Leute solche Torturen nicht zu meiden? Ich mache weiter. Ich tue so, als würde der Tanga mir keine Schmerzen bereiten, und hake den BH zu. Meine Brüste wälzen sich wie Lava über gepolsterte Bügel aus Spitze. Ich trete vor den großen Spiegel, um mich zu betrachten.
Ich sehe aus wie ein Folteropfer. Amnesty International sollte dringend ein paar Anrufe tätigen und mir helfen. Mein Hintern sieht aus wie ein umwickelter Braten. Meine Brüste, die sowieso zu groß sind, könnten genauso gut Pfeile tragen, auf denen steht: »Sieh her! Sieh her!« Und trotzdem. Vermutlich sehe ich sexy aus, ein Vollweib eben. Und mein Liebster mag Baseballspiele im Fernsehen. Und mir fehlen die Überraschungen unter der Bettdecke.
Ich gehe ins Wohnzimmer und schalte den riesigen Fernseher an. Werbung. Ein Mann mit einem fiesen Grinsen steuert einen
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