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Seitensprung ins Glück

Titel: Seitensprung ins Glück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary E Mitchell
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denn gut genug, um Besorgungen zu machen?«, frage ich sie.
    »Er fühlt sich gut«, sagt sie, ohne von ihrer Beschäftigung aufzusehen.
    Ich sehe zu, wie sie ungekochten Reis in rohe Hackfleischklößchen rollt. »Stachelschweine« nennt sie dieses Essen. Pulkowski liebt es. Sie wird die Fleischklößchen anbraten, bevor sie sie in Tomatensoße köcheln lässt. Der Reis wird in dem Fleisch aufquellen und weich werden wie ein verborgener Schatz. Später wird meine Mutter sie dann auf Pulkowskis Teller häufen und so die Farbe in seine Wangen zurückbringen. Dann wird sein Prostatakrebs nicht mehr ganz so schlimm sein, wegen der Stachelschweine. So funktioniert ihre Liebe. Ich reibe mir die Arme, während ich darüber nachdenke.
    Helen sagt nichts dazu, dass ich mitten am Tag bei ihr aufkreuze. Sie kommentiert auch die Tatsache nicht, dass ich ihr seit Wochen aus dem Weg gehe. Ich wiederum sage nichts über Johnny Bellusa. Sie blickt mir prüfend ins Gesicht und sieht alles, vermutlich sogar meinen Kater. Doch sie schweigt. Der kleine Fernseher, der auf ihrer Küchenplatte steht, ist angeschaltet. Gerade läuft eine alte Folge von I Love Lucy . Ricky versucht, Lucy aufzuwecken, um mit ihr fischen zu gehen. »Komm schon!«, sagt er. »Sonst verpasst du den Sonnenaufgang.«
    »Sonnenaufgang, Sonnenuntergang, ist doch alles dasselbe«, sagt Lucy. »Die eine steigt hoch, die andere geht unter.« Lucy verzieht das Gesicht. »Tralala! Der Tanz geht weiter.« Das Publikum im Studio grölt vor Lachen.
    »Großartig«, sagt meine Mutter. »Dieser Gedanke ist großartig.«
    Ich sehe ihr beim Arbeiten zu. Ihre Schultern sind gebeugt, sodass der gepunktete Stoff ihrer Baumwollbluse über ihrem schmalen Rücken spannt. »Frauen haben ihre kleinen Momente der Großartigkeit, die unbemerkt bleiben«, sagt sie, »manchmal sogar von ihnen selbst.« Sie rollt die Fleischbällchen, während sie mit mir spricht. Sie redet mit sanfter, leiser Stimme, als würde sie mir eine Geschichte erzählen. »Oh, das stimmt, Fräuleinchen«, sagt sie. »Wer schenkt schon dem Leben einer Frau große Aufmerksamkeit?«
    Ich rühre die Soße um, in die die Stachelschweine hineinkommen werden, und erkenne, dass Helen recht hat. Ein Großteil weiblicher Arbeit ist einsame Arbeit.
    »Ich hatte sie auch, diese kleinen, perfekten Momente der Erkenntnis, als ihr Kinder noch klein wart. Mitten beim Zubereiten eurer Sandwiches oder beim Staubsaugen oder so.«
    Als ihr Kinder noch klein wart . Damit mussten Alexa und ich gemeint sein, vermute ich. Die beiden Mädchen meiner Mutter.
    »Einmal zum Beispiel«, fährt sie, jetzt mehr zu sich selbst, fort, »habe ich eine von euch niesen hören und erkannt, dass die meisten Menschen immer zweifach niesen. Wusstest du das? Man macht nicht Hatschi! Man macht immer Hatschi! Hatschi! «
    Sie legt die ersten sechs Fleischklößchen in die heiße Pfanne, während sie neben mir am Herd steht. »Wenn irgendein Potz an der Universität von Stony Brook diese Entdeckung veröffentlichen würde, alle würden ihn als Genie preisen. Ich erzählte deinem Vater davon, als er an diesem Abend von der Arbeit kam, und erinnere mich noch, wie unbeeindruckt er war.«
    Der Geruch nach heißem Olivenöl steigt rings um uns auf.
    »Er dachte vermutlich, ich wäre verrückt. Wie leicht für ihn, mich für verrückt zu halten. Er war den ganzen Tag bei der Arbeit, in einem netten, geschäftigen Büro.«
    Sie sticht mit ihrem Pfannenwender auf die Stachelschweine ein, und mir wird klar, dass sie wütend auf ihn ist. Was zum Teufel hatte Pulkowski sich dabei gedacht, sich mit überstehenden Beinen auf eine Untersuchungsliege zu setzen und Woche für Woche bestrahlen zu lassen? Für wen hielt er sich, dass er Krebs bekam? Und mir wird noch etwas bewusst: Alexa Pulkowski und ich hätten wie Schwestern in Helen Pulkowskis Haus aufgezogen werden können. Wir hätten wir Kinder sein können, zumindest für ein paar Jahre, bis meine Mutter weglief und verschwand. Doch es ist nicht so gekommen, und ich weiß nicht einmal, ob Helen oder Alexa das so gewollt hatten oder nicht.
    »Er erwartete nur, sein Essen zu bekommen, und keinen kleinen Moment der Großartigkeit meinerseits«, murmelt Helen, und ich sehe hinunter auf ihren Kopf und bemerke, dass die Haare am Hinterkopf dünn werden.
    »Ja, Männer halt, weißt du«, sage ich. Das ist meine Art, sie zu trösten, ohne den Löffel wegzulegen und die Arme um sie zu legen. Sie sieht aus feuchten Augen zu

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