Seitensprung ins Glück
du ausflippst.«
Wieder ein Schlag mit dem Deckel.
Ich reibe mir die Stirn und sehe ihn an. »Etwas über Helen«, stelle ich fest.
»Hör einfach zu«, beharrt er. »Im Leben passiert es, dass Menschen, an denen dir sehr viel liegt, dich enttäuschen. Und irgendwann vergibt man ihnen dann wieder.« Er streckt die Hand aus, um mich zu berühren, scheint es sich dann aber anders zu überlegen. »Du vergibst deinem Chef, und du vergibst deinen Freunden. Warum nicht auch deiner Familie?«
»Willst du damit sagen, ich sollte Teddy vergeben?«
Mickey lacht. »Du weißt genau, dass ich nicht von Teddy rede, Rosie.«
Natürlich weiß ich das. Wieder lasse ich mich in die Sofakissen sinken. Das geht in die gleiche Richtung wie Marcies »Ruf deine Mutter an«. Mickey hat mir den Spruch aufgetischt, seit er mein lädiertes Gerippe am Samstagabend nach Hause transportiert hat. Ruf deine Mutter an. Ruf deine Mutter an. Ruf deine Mutter an. Die Tatsache, dass sie gar nicht meine Mutter ist, treibt an ihm vorbei wie eine Mücke auf der Oberfläche eines Teichs. Mickey sieht heute Morgen großartig aus in seiner sportlichen Tweedjacke, aber anscheinend kann er den Seelenklempner in sich nicht abstellen. Das Gute daran ist vermutlich, dass ich endlich ein Problem habe, das sogar Oprah Winfreys würdig ist: nicht zu wissen, wer meine Eltern sind.
Ich zupfe an Mickeys Schlips und ziehe sein Gesicht zu mir herunter. »Dein Po ist einfach zum Anbeißen«, sage ich. Ich beende die Therapiesitzung, indem ich ihn auf seinen schönen Mund küsse.
»Ja, und wenn ich dir wehtun würde, würdest du mir wahrscheinlich vergeben, schon wegen meines Knackarsches. Warum also nicht Helen?«
»In erster Linie deshalb, weil ihr Hintern mit deinem nicht mithalten kann«, scherze ich, doch Ham lacht nicht. Unter großen Anstrengungen setze ich mich wieder auf. Ein schmaler Sonnenstrahl auf dem Teppich macht mich fertig, indem er etwas hinter meinen Augen zum Explodieren bringt. »Und außerdem weiß ich gar nicht, was genau es ist, das ich ihr vergeben sollte! Ich habe keine Ahnung, ob sie mich von den besten Eltern der Welt ferngehalten hat, oder ob sie mich davor bewahrt hat, mit dem Kleiderbügel verprügelt zu werden.«
»Vielleicht hattest du ja bereits die besten Eltern der Welt.«
Ein lauter Seufzer entfährt mir. »Ich dachte, du wärest einer von diesen Typen, die nicht reden.«
»Was?« Ham blickt verwirrt drein.
Wieder zupfe ich an seinem Schlips und küsse ihn, dieses Mal aber länger. »Du bist wirklich ein Heiliger«, sage ich zu ihm.
Er lächelt, sieht aber ein bisschen enttäuscht aus. Ich glaube nicht, dass er nach Heiligkeit strebt. Ich glaube, dass er etwas anderes hören möchte, irgendein Liebesgeständnis – doch da wartet er unter dem falschen Baum darauf, dass etwas für ihn herunterfällt. Unter dem zerbrochenen Baum. Dem verwüsteten Baum. Dem Baum der Verlassenen. Es werden Monate vergehen, bevor dieser Baum wieder austreibt. Außerdem sollte er sich nicht benehmen, als wäre er mein Therapeut, wenn er will, dass ich mich in ihn verliebe. Und er sollte mich endlich mal in seine Wohnung in Manhattan einladen.
Nicht, dass ich so dringend dort hin will; aber Marcie hat mich auf etwas gebracht: Er hat mich nie darum gebeten, zu kommen.
»Ich hab frischen Kaffee gemacht«, sagt Mickey, bevor er geht.
Nachdem er fort ist, stehe ich auf und schenke mir eine Tasse davon ein.
Plötzlich bin ich froh darüber, zum SaveWay statt ins Büro zu fahren. Die Vorstellung, erneut von Marcie Vorträge gehalten zu bekommen, ist unerträglich.
Dann ist da noch Sean, oder »Zambie«, und es wird mir schwerfallen, heute in ihm eine Autoritätsperson zu sehen. Der Himmel weiß, was er über mich denkt. Wie, bitte schön, sollen wir zusammenarbeiten, nachdem er zugesehen hat, wie ich in einem rosa Schlafanzug aus seinem Haus geschleppt wurde? Da ist es doch besser, nur Mickey zu sehen und vielleicht einen weiteren Kuss in seinem Büro zu ergattern.
Auf dem Parkplatz vor dem SaveWay scheint die Sonne halbherzig, bringt aber immerhin das Chrom der Autos zum Blitzen, sodass mir das Licht in die Augen sticht. Ich ziehe den Mantel enger um mich und trippele auf meinen mäßig hohen Absätzen zum Eingang. Komfortschuhe nennen sich die Dinger, von außen sehen sie angeblich wie »Karriereschuhe« aus, innen sind sie so bequem wie Omatreter. Früher hätte ich nicht tot in diesen Schuhen gesichtet werden wollen, die natürlich ein
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