Seitensprung ins Glück
fächerartigem Schwanz. Die alte, vergilbte Tapete wärmt das Zimmer wie ein Paar schützender Hände. Ich stelle den Pie in die Mitte des Tisches und wünsche mir, ich könnte hierbleiben. Ein Thanksgiving in der Cooperative Living Wohngruppe würde mir vielleicht gut tun.
»Eleanor hat eine tolle Torte gebacken«, sagt die Frau in den Pantoffeln. »Aber Ihren Pie essen wir auch.«
»Ich hab sie ganz besonders verziert!«, sagt Eleanor, macht auf dem Absatz kehrt und eilt zur Vorratskammer des alten Hauses. Sie kommt mit einer schiefen, schichtweise gefertigten Torte mit Schokoladenguss zurück. Oben, etwas neben der Mitte, steckt ein grüner Plastik-Shrek darin. Auf seinem Kopf klebt ein Klecks Schokoguss wie ein schiefes Toupet. »Sein Lächeln gefällt mir«, gesteht Eleanor uns. »Er ist besser als ein Truthahn.«
Nach vielen Umarmungen, Schulterklopfern und Küssen sitzen wir schließlich wieder im Wagen und fahren schweigend weiter zu Helen. Ich blicke aus meinem regennassen Fenster in den schweren, grauen Himmel und sehe, wie brauner Rasen und nackte Bäume an mir vorbeifliegen. Plötzlich merke ich, wie die Tränen in mir aufsteigen. Ich drehe mein Gesicht weiter ans Fenster, doch Mickey – verdammt sei seine einfühlsame Seele – merkt trotzdem, dass ich traurig bin.
»Alles klar?«, fragt er und drückt meine Hand.
»Ja«, sage ich, doch meine Stimme ist nur ein Flüstern. »Ich glaube nur, ich wäre am liebsten da geblieben, das ist alles.«
»Und warum?«, fragt Mickey, doch ich habe das Gefühl, er weiß ganz genau warum und will nur, dass ich es laut ausspreche.
»Weil ich mich in letzter Zeit grauenhaft fühle. Wegen … allem und jedem.«
So. Jetzt habe ich ihm die Wahrheit gesagt. Als Mickey daraufhin über eine Minute lang nichts sagt, kehre ich den Spieß um.
»Wie ist denn deine kleine Besprechung mit Jane gelaufen?«
»Hast du uns denn nicht gesehen, als wir rauskamen?«, fragt er. »Ach, stimmt ja. Du und Helen, ihr seid früh aufgebrochen.«
Mein Magen zieht sich schuldbewusst zusammen. Vielleicht ist es auch Scham, der Unterschied war mir noch nie klar. Da ich mit Helen aufgewachsen bin, hatte ich nie genug Zeit, um den Unterschied herauszufinden. »Das war ein Fehler«, gestehe ich, denn ich will, dass die Sache vom Tisch ist. »Ich war immer noch wütend auf dich. Deshalb habe ich das getan.«
»Soll das heißen, Helen hat dabei mitgemacht?«
»Nein.« Ich reibe meine Arme, denn plötzlich ist mir kalt. »Ich hatte ihr nicht verraten, warum wir zu Starbucks gegangen sind. Als sie es dann herausfand, ist sie sofort davongestürmt.«
»Ha!« Mickeys Lachen überrascht mich. »Aber Jane hat nicht mitbekommen, dass du da warst, also ist es egal.«
Wir lauschen eine Weile dem Surren der Räder. Dann sage ich: »Also bist du jetzt mit deiner Scheidung ganz durch?«
»Das war ich schon. Wir hatten nur noch nicht entschieden, was wir mit dem Haus machen.«
»Und, was habt ihr gemacht?«
»Ich habe es ihr geschenkt.«
»Du hast ihr das Haus geschenkt?«
»Ja.«
Warum kommt es mir so vor, als hätte Mickey gerade einen Eimer mit kaltem Wasser über mir ausgeleert? Ich weiß, warum. Weil manche Ehemänner, auch wenn sie nur Geschäftsführer eines kleinen Supermarktes sind, ihren Frauen Häuser schenken. Weil mein Ehemann seines einfach verlassen hat. Nein, es ist noch schlimmer. Weil er einfach ein anderes mit Inga gekauft hat.
»Ich habe keine Ahnung, wie wir dieses Thanksgiving-Essen durchstehen sollen«, höre ich mich brabbeln. Meine Augen brennen, und meine Hände sind zu Fäusten geballt.
»Ist es denn so schlimm, einen ganzen Nachmittag mit mir zu verbringen?«, fragt Mickey. Er scheint zu ahnen, dass mein Ausbruch nichts mit ihm zu tun hat, sondern vielmehr mit der Tatsache, dass ich mit einem Potz verheiratet war – einem Potz, mit dem ich zufälligerweise auch noch jeden vierten Donnerstag im November Truthahn gegessen habe.
Ich blicke Mickey unter meinem sorgsam aufgetragenem Eyeliner an, der inzwischen sicher verschmiert ist. »Wie oft hast du seit deiner Scheidung schon Thanksgiving gefeiert?«
»Oft genug«, sagt er. »Ich bin daran gewöhnt. Aber für dich ist es natürlich das erste Thanksgiving …« Er bricht ab. Er drückt mir die Hand. »Auch du gewöhnst dich daran.«
»Verdammt und zugenäht«, sage ich und boxe in den weichen Autositz. »Warum können die Menschen denn nicht lernen, verheiratet miteinander zu leben?«
»Die meisten können es ja
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