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Seitenwechsel

Seitenwechsel

Titel: Seitenwechsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nella Larsen
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festhielt.
    »Es war schön, dich wiederzusehen, Clare. Wie glücklich Vater sein wird, von dir zu hören!«
    »Dann bis Dienstag«, erwiderte Clare Kendry. »Ich werde mich von nun an in jeder Minute auf das Wiedersehen freuen. Leb wohl, ’Rene, mein Herz. Liebe Grüße an deinen Vater und diesen Kuss für ihn.«
    Die Sonne war vom Himmel verschwunden, aber die Straßen glichen noch immer glühenden Backöfen. Die matte Brise war noch immer heiß. Und die davoneilenden Leute sahen sogar schlapper aus als zuvor, als Irene vor ihrer Berührung geflüchtet war.
    Sie überquerte in der Hitze die Avenue, weitab von der Kühle des Drayton-Daches, fern von Clare Kendrys verführerischem Lächeln, und merkte, dass sie sich über sich selbst ärgerte, weil sie so zufrieden und ein wenig geschmeichelt gewesen war, als die andere sich so offensichtlich über ihr Treffen gefreut hatte.
    Während sie schwitzend auf dem Heimweg war, wuchs dieser Ärger, und sie fragte sich, was denn in sie gefahren sei, dass sie Clare versprochen hatte, in den wenigen und übervollen Tagen, die ihr noch blieben, Zeit zu finden und einen weiteren Nachmittag mit einer Frau zu verbringen, deren Leben so eindeutig und vorsätzlich von dem ihren abwich und die sie, so hatte Clare selbst gesagt, vielleicht nie wiedersehen würde.
    Warum in aller Welt hatte sie so ein Versprechen abgegeben?
    Als sie die Treppe zum Haus ihres Vaters hinaufstieg und daran dachte, mit welchem Interesse und welcher Verwunderung er ihrer Geschichte von der nachmittäglichen Begegnung zuhören würde, fiel ihr ein, dass Clare es unterlassen hatte, ihren Familiennamen zu erwähnen. Sie hatte sich auf einen Jack, ihren Mann, bezogen. Das war alles. War das mit Absicht geschehen?
    Clare musste nur den Telefonhörer abnehmen, um mit ihr zu reden, oder ihr ein Kärtchen schicken oder in ein Taxi springen. Aber sie konnte Clare über keine Adresse erreichen. Auch niemand sonst, dem sie von ihrem Treffen erzählen mochte.
    »Als würde ich das tun!«
    Ihr Schlüssel drehte sich im Schloss. Sie ging hinein. Ihr Vater war anscheinend noch nicht da.
    Irene entschied sich, ihm schließlich doch nichts von Clare Kendry zu erzählen. Sie hatte keine Lust, von einer Person zu sprechen, die eine so schlechte Meinung von ihrer Loyalität oder ihrer Diskretion hatte. Und ganz bestimmt hatte sie weder den Wunsch noch die Absicht, sich auch nur die geringste Mühe zu machen, was den Dienstag anging. Oder irgendeinen anderen Tag.
    Sie war fertig mit Clare Kendry.

drei
    Am Dienstagmorgen wölbte sich der Himmel wie eine graue Kuppel über der ausgedörrten Stadt, und mochte der silbrige Dunst auch Regen versprechen, der die stickige Luft erfrischen könnte – er fiel nicht.
    Für Irene Redfield war dieser weiche Dunstschleier ein weiterer Grund, nichts zu tun, um Clare Kendry am Nachmittag zu sehen.
    Und doch sah sie Clare.
    Das Telefon. Stundenlang hatte es wie besessen geklingelt. Seit neun Uhr hatte sie das hartnäckige Schrillen gehört. Eine Zeitlang hatte sie entschlossen jedes Mal gesagt: »Bin nicht zu Hause, Liza, richte das aus.« Und jedes Mal kam das Hausmädchen mit der Auskunft zurück: »Dieselbe Dame, Ma’am; sie sagt, sie ruft wieder an.«
    Aber mittags war Irene mit den Nerven am Ende, und da ihr das Gewissen schlug bei Lizas vorwurfsvollem Blick im schwarzen Gesicht, als sie Irene erneut verleugnen sollte, gab sie nach.
    »Schon gut. Diesmal gehe ich dran, Liza.«
    »Sie ist es wieder.«
    »Hallo … Ja.«
    »Hier Clare, ’Rene … Wo bist du nur gewesen ? … Kannst du so gegen vier hier sein? … Was? … Aber ’Rene, du hast es versprochen! Bloß für ein Weilchen … Du kannst, wenn du nur willst … Ich bin maßlos enttäuscht. Ich hatte so sehr damit gerechnet, dich zu sehen … Bitte, sei lieb und komm. Nur für ein Minütchen. Du kannst das sicher einfädeln, wenn du es versuchst … Ich werde dich nicht bitten zu bleiben … Ja … Ich erwarte dich … Residenz Morgan … Klar! Mein Name ist Bellew, Mrs. John Bellew … Also, dann um vier … Ich freu mich so, dich zu sehen! … Auf Wiedersehen.«
    »Verflucht!«
    Irene knallte den Hörer auf und machte sich gleich Vorwürfe. Schon wieder hatte sie es getan. Hatte zugelassen, dass Clare Kendry sie zu etwas überredete, für das sie weder Zeit noch besondere Lust hatte. Was war an Clares Stimme so reizvoll, so ausgesprochen verführerisch?
    Clare begrüßte sie in der Eingangshalle mit einem Kuss. »Wie schön von

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