Seitenwechsel
wechseln‹?«
Irene antwortete sofort: »Nein. Warum sollte ich?« Und so verächtlich waren ihre Stimme und ihr Verhalten, dass Clares Gesicht errötete und ihre Augen funkelten. Irene fügte hastig hinzu: »Weißt du, Clare, ich habe alles, was ich mir wünsche. Außer vielleicht etwas mehr Geld.«
Darüber lachte Clare, ihr Anflug von Ärger verschwand so schnell, wie er gekommen war. »Das versteht sich«, erklärte sie, »jeder möchte doch etwas mehr Geld, selbst die Leute, die welches haben. Und ich, ich werfe ihnen das nicht vor. Geld zu haben ist furchtbar angenehm. Alles in allem, ’Rene, finde ich, es ist tatsächlich sogar den Preis wert.«
Irene konnte nur mit den Schultern zucken. Ihre Vernunft stimmte halbwegs zu, ihr Instinkt empörte sich ganz und gar. Und sie konnte nicht sagen warum. Und obwohl ihr bewusst war, dass sie, wenn sie jetzt nicht aufbräche, verspätet zum Abendessen erschien, blieb sie. Es war, als übte die ihr am Tisch gegenübersitzende Frau, die sie als Mädchen gekannt hatte und die diese ziemlich gefährliche – und für Irene Redfield abscheuliche – Sache erfolgreich angegangen war und erklärt hatte, höchst zufrieden zu sein, eine seltsame, unwiderstehliche Faszination auf sie aus.
Clare Kendry saß immer noch zurückgelehnt auf dem hohen Stuhl, die hängenden Schultern gegen die geschnitzte Rückenlehne. Sie saß da mit einer gleichgültigen Selbstsicherheit, wie aufgesetzt, wie gewollt. Eine feine Spur von höflicher Überheblichkeit haftete ihr an, die einigen Frauen angeboren ist und anderen zufällt, wenn sie Reichtum oder Bedeutung erworben haben.
Irene spürte leichte Genugtuung, als sie sich erinnerte, dass Clare diese Überheblichkeit nicht erst an den Tag gelegt hatte, seit sie als Weiße ›durchging‹. Sie war ihr immer schon zu eigen gewesen.
So wie sie immer schon das hellgoldene Haar gehabt hatte, das, noch ohne Kurzschnitt, locker aus der breiten Stirn nach hinten gezogen und zum Teil von dem kleinen, straff sitzenden Hut verdeckt war. Ihre Lippen, in einem glänzenden Geranienrot geschminkt, waren reizend und empfindsam und ein wenig widerspenstig. Ein verführerischer Mund. Das Gesicht von der Stirn zu den Wangen war eine Idee zu breitflächig, aber die elfenbeinfarbene Haut hatte einen ganz eigenen weichen Schimmer. Und die Augen waren hinreißend! Dunkel, manchmal völlig schwarz, immer leuchtend und gerahmt von langen, schwarzen Wimpern. Fesselnde Augen, träge und hypnotisch, und trotz ihrer Wärme hatten sie etwas Introvertiertes und Unerforschliches.
Ah! Natürlich! Es waren die Augen einer Schwarzen! Geheimnisvoll und verschwiegen. Und in dem elfenbeinfarbenen Gesicht unter dem hellen Haar wirkten sie exotisch.
Ja, Clare Kendrys Schönheit war vollkommen, war jenseits aller Zweifel, wegen dieser Augen, die ihre Großmutter und später dann ihre Mutter ihr vererbt hatten.
In diesen Augen erschien ein Lächeln, und Irene hatte das Gefühl, gestreichelt und liebkost zu werden. Sie lächelte zurück.
»Vielleicht kannst du«, schlug Clare vor, »am Montag kommen, wenn du zurück bist. Wenn nicht, dann Dienstag.«
Mit einem kleinen Seufzer des Bedauerns informierte Irene Clare, dass sie am Montag leider noch nicht zurück sei und dass am Dienstag bestimmt Dutzende von Dingen auf sie warteten und dass sie am Mittwoch abführen. Vielleicht könnte sie sich jedoch am Dienstag vor etwas drücken.
»Versuche es doch unbedingt. Wimmle jemanden ab. Die anderen können dich jederzeit sehen, während ich – ja, vielleicht sehe ich dich nie wieder! Denk daran, ’Rene! Du musst kommen. Du musst einfach! Ich werde es dir nie verzeihen, wenn du nicht kommst.«
In dem Augenblick erschien der Gedanke, Clare Kendry nie wiederzusehen, schrecklich. Als Irene Clares bittenden, liebkosenden Blick spürte, hatte sie den Wunsch, die Hoffnung, diese Trennung werde nicht die letzte sein.
»Ich werde es versuchen, Clare«, versprach sie vorsichtig. »Ich werde dich anrufen – oder willst du mich anrufen?«
»Ich glaube, vielleicht ist es besser, ich rufe dich an. Dein Vater steht im Telefonbuch, das weiß ich, und die Adresse ist dieselbe. 64 W-18th St. Gutes Gedächtnis, nicht? Also, denk dran, ich erwarte dich. Du musst es hinkriegen.«
Wieder das eigentümliche, schwach machende Lächeln.
»Ich werde mein Bestes tun, Clare.«
Irene nahm ihre Handschuhe und ihre Tasche. Die Frauen erhoben sich. Irene streckte die Hand aus, die Clare ergriff und
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