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Seitenwechsel

Seitenwechsel

Titel: Seitenwechsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nella Larsen
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nahm ihre Handtasche und ihr Halstuch. Sie war gerade dabei, die lohfarbenen Finger ihrer Handschuhe vor dem Anziehen glatt zu streichen, als sie das Öffnen der Eingangstür hörte und sah, wie Clare mit erleichtertem Gesichtsausdruck aufsprang: »Wie schön! Das ist Jack, genau zum rechten Zeitpunkt. Du darfst jetzt nicht gehen, ’Rene, Liebes.«
    John Bellew betrat das Zimmer. Das Erste, was Irene bemerkte, war, dass er nicht der Mann war, mit dem sie Clare Kendry auf dem Dach des Drayton gesehen hatte. Der Mann hier, Clares Ehemann, war ziemlich groß, kräftig gebaut. Sie vermutete, dass er zwischen fünfunddreißig und vierzig Jahre alt war. Sein Haar war dunkelbraun, gewellt, und er hatte einen weichen Mund, etwas feminin, in einem ungesund aussehenden, teigigen Gesicht. Seine stahlgrauen, undurchdringlichen Augen waren sehr lebhaft, fortwährend in Bewegung unter schweren, bläulich schimmernden Lidern. Aber eigentlich war nichts Ungewöhnliches an ihm, es sei denn der Eindruck von latenter körperlicher Kraft.
    »Hallo, Nig«, begrüßte er Clare.
    Gertrude, die vor Schreck leicht zusammengezuckt war, lehnte sich zurück und schaute heimlich zu Irene, die sich auf die Lippe gebissen hatte und dasaß, den Blick starr auf Mann und Frau gerichtet. Es war verwunderlich, dass selbst Clare Kendry eine Bemerkung leichtnahm, die ihre Rasse lächerlich machte, auch wenn der Sprecher zufällig ihr Mann war. Wusste er demnach, dass Clare schwarz war? Ihrem Gespräch vor ein paar Tagen hatte Irene entnommen, dass er es nicht wusste. Aber wie grob, wie eindeutig beleidigend von ihm, sie so in Anwesenheit von Gästen anzusprechen!
    Als Clare ihren Mann vorstellte, war in ihren Augen ein seltsamer Schimmer, vielleicht Spott. Irene konnte das nicht genau bezeichnen.
    Nachdem die mechanischen Bekundungen, die eine Vorstellung begleiten, vorbei waren, erkundigte Clare sich: »Habt ihr gehört, wie Jack mich genannt hat?«
    »Ja«, antwortete Gertrude und lachte beflissen.
    Irene sagte nichts. Ihr Blick blieb auf Clares lächelndes Gesicht gerichtet.
    Clare schlug die schwarzen Augen nieder. »Liebling, erzähl ihnen, warum du mich so nennst.«
    Der Mann kicherte und kniff dabei die Augen zusammen, und Irene musste zugeben, dass es nicht unsympathisch war. Er erklärte: »Das ist nämlich so. Als wir geheiratet haben, war sie so weiß wie – wie – also weiß wie eine Lilie. Aber ich sag euch, sie wird von Tag zu Tag dunkler und dunkler. Ich sage immer, wenn sie nicht aufpasst, wacht sie eines schönen Tages auf und ist ein Nigger.«
    Er lachte lauthals. Clares glöckchenähnliches Lachen kam hinzu. Und Gertrude schloss sich nach weiterem unbehaglichem Hin-und-Herrutschen auf dem Sofa mit schrillem Lachen an. Irene, die mit fest zusammengepressten Lippen dagesessen hatte, rief: »Das ist gut!« und brach in schallendes Gelächter aus. Sie lachte und lachte und lachte. Tränen liefen ihr über die Wangen. Die Seiten taten ihr weh. Der Hals schmerzte. Sie lachte weiter und weiter und weiter, lange nachdem die anderen aufgehört hatten. Bis sie sich beim Blick in Clares Gesicht bewusst wurde, dass sie sich über diesen köstlichen Witz besser etwas ruhiger freute und vorsichtiger war. Augenblicklich hörte sie auf.
    Clare goss ihrem Mann Tee ein und legte die Hand mit einer kleinen, liebevollen Geste auf seinen Arm. Selbstbewusst und auch amüsiert sagte sie: »Du meine Güte, Jack! Was für einen Unterschied würde es denn nach all den Jahren machen, wenn du herausfändest, dass ich ein oder zwei Prozent farbig wäre?«
    Bellew streckte die Hand aus in einer heftig ablehnenden Bewegung, entschieden und endgültig. »Oh nein, Nig«, verkündete er, »so was nicht bei mir! Ich weiß, du bist kein Nigger, und damit ist das in Ordnung. Du kannst von mir aus so schwarz werden, wie du willst, ich weiß ja, dass du kein Nigger bist. Da ziehe ich die Grenze. Keine Nigger in meiner Familie. Gab nie welche und wird auch nie welche geben.«
    Irenes Lippen zitterten stark, und nur mit Mühe konnte sie den fatalen Drang unterdrücken, wieder loszulachen; schaffte es schließlich. Während sie bedächtig eine Zigarette aus dem lackierten Kästchen auf dem Couchtisch vor ihr wählte, warf sie einen heimlichen Blick auf Clare und begegnete ihren eigentümlichen Augen, die mit einem so dunklen, tiefgründigen und unfassbaren Ausdruck auf sie gerichtet waren, dass sie einen Moment lang den Eindruck hatte, sie blicke in die Augen eines Wesens,

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