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Seitenwechsel

Seitenwechsel

Titel: Seitenwechsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nella Larsen
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deutlich, liebenswürdig zu Clares alten Freundinnen zu sein. Irene musste einräumen, dass sie ihn unter anderen Bedingungen vielleicht gemocht hätte. Ein im Ganzen gutaussehender Mann mit umgänglichem Wesen, wie es schien, und wohlhabend. Unkompliziert und ziemlich gradlinig.
    Gertrude antwortete, ihr sei Chicago völlig recht. Sie sei nie von der Stadt weggekommen und würde es wohl auch nie. Der Betrieb ihres Mannes befinde sich ja hier.
    »Ist klar, völlig klar. Man kann nicht aufspringen und einen Betrieb in Stich lassen.«
    Es folgte ein dahinfließendes Gespräch über Chicago und New York, ihre Unterschiede und die neusten spektakulären Veränderungen.
    Es war, dachte Irene, unglaublich und verblüffend, dass vier Personen so gelassen, so betont freundlich zusammensitzen konnten, während in Wirklichkeit Ärger, ein Gefühl der Demütigung und der Schmach sie beherrschten. Aber nein, musste sie sich bei näherem Nachdenken korrigieren. John Bellew war bestimmt innerlich und äußerlich unerschüttert. Und womöglich auch Gertrude Martin. Zumindest spürte sie nicht die Demütigung und Schmach, die Clare Kendry fühlen musste, oder in dem Ausmaß die Wut und Empörung, die sie, Irene, unterdrückte.
    »Noch Tee, ’Rene?«, bot Clare an.
    »Danke, nein. Und ich muss los. Ich reise morgen ab, wie du weißt, und ich muss noch packen.«
    Sie stand auf. Gertrude, Clare und John Bellew standen ebenfalls auf.
    »Wie gefällt Ihnen das Drayton, Mrs. Redfield?«, fragte Letzterer.
    »Das Drayton? Oh, sehr. Sehr sogar«, antwortete Irene mit spöttischem Blick auf Clares nichts verratendes Gesicht.
    »Netter Schuppen. Bin selbst einige Male dort gewesen«, berichtete der Mann.
    »Ja, nett«, pflichtete Irene ihm bei. »Fast so gut wie unsere besten in New York.« Sie hatte den Blick von Clare abgewandt und kramte in ihrer Tasche nach Nichtexistierendem. Sie begriff jetzt rasch, gleichzeitig wuchsen ihr Mitleid und ihre Verachtung. Clare war so wagemutig, so reizvoll und hatte diese ›Habenwollen-Art‹.
    Irene und Gertrude verabschiedeten sich von Clare mit dem angemessenen Gemurmel. »War nett, dich zu sehen …« »Ich hoffe doch sehr, dich bald wiederzusehen.«
    »Auf Wiedersehen. Schön von dir zu kommen, ’Rene, Liebes. Von dir auch, Gertrude.«
    »Auf Wiedersehen, Mr. Bellew.« … »Freue mich sehr, Sie kennengelernt zu haben.« Gertrude hatte das gesagt. Irene konnte das nicht, konnte sich absolut nicht dazu durchringen, die höfliche Floskel zu äußern oder etwas Ähnliches.
    Er begleitete sie auf den Flur hinaus und holte den Aufzug.
    »Auf Wiedersehen«, sagten sie noch einmal, als sie einstiegen.
    Beim Hinunterfahren schwiegen sie.
    Auch gingen sie stumm durch die Eingangshalle.
    Sobald sie aber die Straße erreicht hatten, brach das, was Gertrude keine Minute länger hätte anstauen können und die ganze letzte Stunde hatte zurückhalten müssen, aus ihr hervor: »Großer Gott! Was für ein ungeheures Wagnis. Sie muss vollkommen verrückt sein.«
    »Ja, scheint mir in der Tat riskant zu sein«, gab Irene zu.
    »Riskant! Und ob. Riskant! Großer Gott – Was für ein schwaches Wort! Und der ganze Schlamassel, in den sie wahrscheinlich geraten wird!«
    »Ich glaube eigentlich, sie ist ziemlich sicher. Sie wohnen ja nicht hier. Und da gibt es das Kind. Das ist eine gewisse Sicherheit.«
    »Es bleibt trotzdem ein ungeheures Wagnis«, insistierte Gertrude. »Ich hätte um nichts in der Welt Fred geheiratet, ohne ihn aufzuklären. Man kann nie sagen, was auf einen zukommt.«
    »Ja, stimmt, es ist sicherer, wenn man es sagt. Aber dann hätte Bellew sie nicht geheiratet. Und das war es schließlich, was sie wollte.«
    Gertrude schüttelte den Kopf. »Ich möchte trotz all dem Geld, das dabei herausspringt, nicht in ihrer Haut stecken, sollte er es herausfinden. Nicht bei seiner Einstellung! Du meine Güte! War das nicht schrecklich? Eine Minute lang war ich so wütend, ich hätte ihn ohrfeigen können.«
    Ja, furchtbar anstrengend, bestätigte Irene, und dazu noch sehr unangenehm. »Ich war selbst richtig wütend.«
    »Und dass sie uns nichts über seine Haltung gesagt hat! Alles Mögliche hätte passieren können. Wir hätten etwas Falsches sagen können.«
    Das genau sei Clare Kendry, betonte Irene: ein Risiko eingehen und dabei die Gefühle anderer überhaupt nicht bedenken.
    Gertrude sagte: »Vielleicht hat sie gedacht, wir hielten das für einen guten Streich. Und das hast du ja wohl. So wie du

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