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Seitenwechsel

Seitenwechsel

Titel: Seitenwechsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nella Larsen
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gelacht hast. Du lieber Himmel! Ich war zu Tode erschrocken, er könnte dahinterkommen.«
    »Es war ja auch eine Art Streich«, sagte Irene, »die Dummen waren er und wir, vielleicht auch sie.«
    »Ganz gleich, es ist jedenfalls ein ungeheures Wagnis. Ich möchte äußerst ungern an ihrer Stelle sein.«
    »Sie scheint durchaus zufrieden. Sie hat bekommen, was sie wollte, und vor ein paar Tagen hat sie mir gesagt, es sei die Sache wert.«
    Doch Gertrude war skeptisch. »Sie wird es schon noch anders sehen«, lautete ihr Urteil. »Sie wird es bestimmt noch anders sehen.«
    Es hatte zu regnen begonnen, einzelne große Tropfen.
    Die Feierabend-Mengen eilten zu den Straßenbahnen und Hochstraßen.
    Irene sagte: »Du musst in südliche Richtung? Schade. Ich habe noch eine Besorgung zu machen. Wenn es dir nichts ausmacht, dann verabschiede ich mich schon hier. Es war schön, dich zu sehen, Gertrude. Grüß Fred von mir und deine Mutter, wenn sie sich an mich erinnert. Auf Wiedersehen.«
    Sie wollte die andere Frau los sein, allein sein; sie war immer noch gekränkt und wütend.
    Welches Recht hatte Clare Kendry, sie oder auch Gertrude Martin einer solchen Demütigung, einer solch krassen Beleidigung auszusetzen?
    Und während der ganzen Fahrt mit dem Expresszug zu ihrem Vater versuchte Irene Redfield Clares Gesichtsausdruck beim Abschied zu deuten. Zum Teil spöttisch, wie es schien, und zum Teil drohend. Und noch etwas anderes, für das sie keinen Namen fand. Einen Augenblick lang spürte sie, wie jenes Angstgefühl von dem Nachmittag, als sie in Clares Augen geschaut hatte, in ihr hochkam. Es überlief sie kalt.
    ›Es ist nichts‹, sagte sie sich. ›Ich habe bloß eine Gänsehaut.‹ Sie versuchte zu lachen und ärgerte sich, dass es eher als Schluchzen herauskam.
    Dass der entsetzliche Bellew sie so beunruhigen konnte!
    Und spät in der Nacht, lange nachdem der letzte Gast gegangen und das alte Haus zur Ruhe gekommen war, stand sie am Fenster und schaute mit gerunzelter Stirn in den dunklen Regen und grübelte wieder über den Ausdruck in Clares unglaublich schönem Gesicht. Sie kam zu keinem Ergebnis. Es war unergründlich, jenseits all ihrer Erfahrung und ihres Verstehens.
    Schließlich wandte sie sich vom Fenster ab, und ihr Stirnrunzeln hatte sich noch verstärkt. Warum sich denn um Clare Kendry Sorgen machen? Die war durchaus fähig, sich um sich selbst zu kümmern, war es immer gewesen. Und für Irene gab es andere Sachen, die persönlicher, wichtiger waren und um die sie sich sorgen sollte.
    Außerdem sagte ihr die Vernunft, dass sie sich allein die Schuld geben müsse für ihren unangenehmen Nachmittag samt seinen Ängsten und Fragen. Sie hätte einfach nicht hingehen sollen.

vier
    Am nächsten Morgen, dem Tag ihrer Abreise nach New York, hatte sie einen Brief bekommen, der, wie sie instinktiv beim ersten Blick gewusst hatte, von Clare Kendry kam, obwohl sie sich nicht erinnern konnte, je einen Brief von ihr erhalten zu haben. Sie riss ihn auf, schaute auf die Unterschrift und sah ihre Vermutung bestätigt. Sie würde ihn, schwor sie sich, nicht lesen. Keine Zeit. Überdies hatte sie keine Lust, an den gestrigen Nachmittag erinnert zu werden. Und allzu frisch für ihre Reise fühlte sie sich auch nicht; eine schlimme Nacht lag hinter ihr. Und das nur, weil Clare von Natur aus keinerlei Rücksicht auf die Gefühle anderer nahm.
    Sie las den Brief dann doch. Nachdem Vater und Freunde zum Abschied gewinkt hatten und sie vom Zug ostwärts befördert wurde, packte sie unmäßige Neugier, zu sehen, was Clare über den Vortag geschrieben hatte. Denn was, fragte sie sich, während sie den Briefumschlag aus ihrer Handtasche nahm und öffnete, konnte sie, konnte man über so etwas sagen?
    Clare Kendry schrieb:
    ’ Rene, Liebes:
    Wie nur soll ich Dir für Deinen Besuch danken? Ich weiß, Du hast das Gefühl, dass ich Dich unter diesen Umständen nicht hätte bitten sollen zu kommen, ja sogar drängeln sollen zu kommen. Aber wenn Du wüsstest, wie froh, wie glückselig ich war, Dich zu treffen, und wie ich mich danach sehnte, mehr von Dir zu sehen (Euch alle zu sehen und es nicht konnte), würdest Du meinen Wunsch verstehen, Dich wiederzusehen, und mir vielleicht ein wenig verzeihen.
    Dir von Herzen auf immer und ewig alles Gute und auch Deinem lieben Vater; und mein nur unzureichendes Dankeschön.
    Clare
    Es gab einen Nachtrag:
    Es kann sein, ’Rene, Liebes, es kann ja sein, dass am Ende Dein Weg doch der klügere und

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