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Seitenwechsel

Seitenwechsel

Titel: Seitenwechsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leipert Sabine
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Ablenkung, das war wichtig. Das hatte ich in den letzten Wochen eingesehen. Ich musste mich mit mir selbst beschäftigen, zur Abwechslung. Ruhe in mein Leben bringen, einfach mal auf Stopp drücken.
    Ich hatte nicht geheiratet. Keinen von beiden. Und ich ging normalerweise nicht sehr verschwenderisch mit dieser Kategorie um, aber es war der schlimmste Tag meines Lebens gewesen. Als ich nach meinem Streit mit Tim das Standesamt betreten hatte, ging nichts mehr. Ich sah die erwartungsvollen Gesichter in den Stuhlreihen, Tina und Aygün vorne beim Standesbeamten, Hannes, der auf mich zukam und mir seine Hand reichte, um mit mir ebenfalls zum Standesbeamten zu gehen. Stattdessen zog ich ihn mit mir auf den Flur. Ich brauchte gar nicht viel zu sagen. Hannes hatte Tim gesehen, mein bleiches Gesicht und wusste, dass wir an diesem Tag das Standesamt nicht als Ehepaar verlassen würden. Tina kam zu mir und redete noch mal auf mich ein. Ob Tim es wert sei, meine und im Grunde auch ihre Hochzeit platzen zu lassen. Tim kam ebenfalls dazu, ich gab ihm eine schallende Ohrfeige und rannte aus dem Standesamt. Was danach passiert war, wusste ich nur aus Tinas Erzählungen. Offenbar lieferten sich Tim und Hannes noch eine Schlägerei, aus der Tim mit gebrochener Nase und Hannes mit einem blauen Auge hervorgingen. Tinas türkische Verwandtschaft schien das nicht zu stören, sie waren wilde Hochzeiten gewöhnt. Tina überlegte kurz, ob sie ihre Hochzeit wegen des schlechten Omens und des nun fehlenden Teils der Doppelhochzeit auch absagen sollte, aber sie zog es Aygüns Familie zu Liebe durch. Schließlich war es nicht einfach gewesen, die zwanzigköpfige Verwandtschaft geschlossen nach Deutschland zu verfrachten. Obwohl Tina sich am Telefon bemüht hatte, die unangenehmen Stellen mit ein paar Witzen aufzulockern, konnte ich nicht darüber lachen. Ich hatte mich direkt nach meiner geplatzten Hochzeit hinters Steuer meines Wagens gesetzt und war losgefahren. Ziellos und ohne jegliches Gepäck. Erst nach Frankreich, wo ich irgendwann in der Normandie gelandet war. Ich wollte das Meer sehen, weil ich das Gefühl brauchte, dass es etwas Größeres, Wichtigeres als meine Beziehungskatastrophen gab. Etwas, auf dessen stoische, immer wiederkehrende Kraft man sich verlassen konnte. Ich setzte mich an den Strand und beobachtete die Wellen. Ohne an irgendwas zu denken. Dann fuhr ich jeden Tag ein Stück weiter. Die Küste entlang. Bis nach Südfrankreich, über die Pyrenäen, durch Spanien, Portugal, wieder Spanien. Die Ostküste hoch zurück. Dann wieder Frankreich, Belgien, Köln. Manchmal blieb ich ein paar Tage an einem Ort, wenn er mir gefiel, aber meistens fuhr ich schon am nächsten Tag weiter. Das Reisen an sich war für mich die ideale Gelegenheit, um über mich selbst nachzudenken. Ich war unterwegs, keiner konnte mich erreichen, es gab keine Ablenkung, nicht mal ein Telefon, nachdem mein Handy schließlich keinen Saft mehr hatte. Es gab nur mich, die Straße und ab und zu das Meer. Es tat gut, einfach mal alles hinter sich zu lassen, und ich hätte es schon viel früher machen sollen. Bevor ich mich in dieses Beziehungschaos gestürzt hatte, bevor ich mit Hannes etwas angefangen, geschweige denn seinen Heiratsantrag angenommen hatte. Bis Bordeaux bemitleidete ich mich selbst, verfluchte Tim und wagte gar nicht, an Hannes’ Gefühlszustand zu denken. Auf der Höhe von Porto schlug mein Selbstmitleid in Wut um. Ich war an allem schuld, ich alleine, ich hatte mich zu schnell von Sarah verjagen lassen, zu schnell in Hannes verliebt, zu schnell auf die Affäre mit Tim eingelassen und diese letztendlich mit einer voreiligen Hochzeit mit Hannes versucht zu beenden. Wo immer es auf dem Weg eine Abbiegung in Richtung Katastrophe gegeben hatte, hatte ich sie genommen. Bis Malaga trauerte ich Hannes nach und der vertanen Chance, mit ihm einen Neuanfang zu wagen. Bis Valencia schrieb ich immer wieder Ich hasse Tim auf irgendwelche Steine und warf sie ins Meer, weil ich mal gehört hatte, dass es half, wenn man seinen Ballast wortwörtlich abwarf. Bis Barcelona war ich mir nicht mehr sicher, ob ich Tim hasste oder doch eher liebte und er mich und Hannes nur vor einem großen Fehler bewahrt hatte. In Marseille hatte ich langsam wieder Frieden mit Tim, Hannes und mir geschlossen und ließ erste zaghafte Gedanken darüber zu, dass noch nichts verloren und alles noch möglich war. Mit nicht viel mehr als dieser Erkenntnis im Gepäck wagte ich mich

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