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SEK – ein Insiderbericht

SEK – ein Insiderbericht

Titel: SEK – ein Insiderbericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Schulz
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Durchführung und Entscheidung über alle in Frage kommenden Zugriffsmaßnahmen zu betrauen, führt heutzutage ein in SEK-Taktiken nicht ausgebildeter Beamter des höheren Dienstes die gesamten SEK-Maßnahmen – und zwar sowohl in der Alltagsorganisation als auch im Einsatz.
    Die zweite Folge, die sich aus dem Gladbecker Geiseldrama ergab, war die Einführung sogenannter »Rahmenbefehle«, die der für den Gesamteinsatz zuständige Polizeiführer den im Einsatz befindlichen Spezialeinheiten zum frühestmöglichen Zeitpunkt geben muss. Unter einem Rahmenbefehl kann man sich eine Art Beschreibung der Voraussetzungen vorstellen, wann beispielsweise SEK-Kräfte ohne Rücksprache mit der höheren Führung zugreifen können, wenn sie plötzlich eine günstige Situation erkennen und dadurch die Lage beenden können. In einem solchen Rahmenbefehl wird genau beschrieben, ob zur Durchführung dieses Zugriffs beispielsweise geschossen werden darf oder auch nicht und ob vielleicht sogar ein finaler Rettungsschuss dazu abgegeben werden darf. Man hat mit diesem Instrument einfach einen bei dem Desaster von Gladbeck erkannten bürokratischen Mangel, nämlich die Unmöglichkeit der Rückkopplung mit höheren Führungsstellen bei plötzlichen Lageänderungen, durch ein anderes bürokratisches Mittel ersetzt.
    Ich möchte das kurz an einem kleinen Beispiel verdeutlichen.
    Stellen Sie sich vor, Sie wären als Mitglied einer Spezialeinheit am Ort einer Geiselnahme. Man gibt Ihnen und Ihren Kollegen ein Papier, auf dem geschrieben steht, Sie dürften den Geiselnehmer überwältigen, ohne mit der Führung Rücksprache zu halten, wenn Sie plötzlich eine günstige Situation erkennen und für Rückfragen keine Zeit ist. Klingt gut? Moment, es geht noch weiter! Auf dem Papier steht auch noch, dass Sie zu diesem Zweck allerdings Ihre Schusswaffe nicht einsetzen dürfen. Klingt komisch? Ist aber so! Natürlich kann der Polizeiführer auch den Schusswaffengebrauch, sogar bis hin zum finalen Rettungsschuss, für Ihre spontane Befreiungsaktion genehmigen, doch dies passiert vor allem in der Anfangsphase einer großen Geiselnahme in der Regel nicht, da jeder Polizeiführer zunächst einmal hofft, die Lage ohne Schießerei zu lösen. Und tatsächlich, Sie und Ihr Team erkennen eine Situation, in der Sie nach all Ihrer Erfahrung eine große Chance sehen, den Täter ohne großen Aufwand zu überwältigen. Sie müssen sofort handeln, doch etwas geht schief, der Täter bemerkt etwas, und obwohl dies überhaupt nicht Ihre Absicht war, müssen Sie auf den Täter schießen, um die Geiseln oder Ihr Team zu schützen. Der Polizeiführer jedoch hatte ja ausdrücklich nur einen Zugriff ohne Schusswaffengebrauch genehmigt. Preisfrage: Wer darf sich jetzt für die, im Übrigen vielleicht sogar im Grunde erfolgreiche Lagelösung verantworten? Ich denke, Sie und ich kennen die Antwort genau, dies gilt natürlich insbesondere dann, wenn der Zugriff möglicherweise nicht mit einem Erfolg endet und dabei sogar Geiseln zu Schaden kommen. Glauben Sie also, dass die Regelung der sogenannten Rahmenbefehle irgendeinen SEK-Beamten ausdrücklich dazu ermutigt, eine günstige Situation für einen Zugriff zu nutzen, wenn er genau weiß, dass im Falle eines unvorhergesehenen Ablaufs die Verantwortlichkeit mit allen Konsequenzen allein bei ihm liegt? Nein? Sehen Sie, ich auch nicht!
    Deshalb halte ich die Errungenschaft der Rahmenbefehle für reine Augenwischerei. Sie dient lediglich dazu, eine Papierlage zu schaffen, aus der hervorgeht, dass gegebenenfalls gehandelt werden könnte, die aber jeden einzelnen SEK-Beamten vor Ort der Gefahr des »befehlswidrigen« Verhaltens aussetzt. Und sie macht vor allem deutlich: Die höhere Führung innerhalb der Polizei hat zwar erkannt, dass es unerlässlich ist, in bestimmten Situationen sofortige Entscheidungen zu treffen, aber ist nicht bereit, die dafür notwendigen personellen Konsequenzen zuzulassen. Die Parole lautet weiterhin: keine fachkompetenten Führungskräfte des SEK in den entscheidenden Führungspositionen!
    * * *
    Was folgt aus all dem? Was müsste geschehen, um die geschilderten Defizite zu beheben? Welche Reformen sind unabdingbar, um nicht der Gefahr zu unterliegen, früher oder später ein ebensolches Desaster erleben zu müssen wie beispielsweise bei der Olympiade 1972 in München?
    Zunächst müssen sich die Polizeiführungen, die Sicherheitsbehörden und die Innenpolitiker darüber klar werden und müssen

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