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SEK – ein Insiderbericht

SEK – ein Insiderbericht

Titel: SEK – ein Insiderbericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Schulz
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Gesicht herunterbeuge und ihn laut anschreie. In einem Bericht über Nahtoderfahrungen habe ich einmal gelesen, dass die Betroffenen durch ihnen bekannte oder vertraute Stimmen wieder »zurück«geholt worden wären. Vielleicht ist es diese halbgare Information, vielleicht auch nur eine irrwitzige Hoffnung, die mich jetzt dazu veranlasst, Piet laut anzuschreien, ich weiß es nicht. Jedenfalls wird mir Piet sehr viel später, als ich ihn im Krankenhaus besuche, bestätigen, dass er zu diesem Zeitpunkt seine »Reise«, so wie er es ausdrückt, schon angetreten hatte. Ihn umfing, nach seiner Beschreibung, ein allgemeines Glücksgefühl, eine große Gelassenheit und keinerlei Angst vor dem Kommenden. Meine Stimme nahm er jedoch wahr, wenn auch nur aus weiter Ferne, und er sagte mir, dass diese meine Stimme ihm sogar »störend« vorkam, sie ihn aber doch auch dazu veranlasst habe, sich seiner »Reise« nicht hinzugeben …
    Der soeben eingetroffene Notarzt, der ihm assistierende Rettungssanitäter und Bert versorgen Piet noch auf dem Schießstand. Die Behandlungszeit kommt uns endlos vor. Dann wird Piet in den Hubschrauber verladen und in eine Spezialklinik geflogen.
    * * *
    Piet hat überlebt. Doch sein eigentlicher Leidensweg begann damit erst – und sollte sich noch über fast zehn Jahre hinziehen. Das Geschoss hatte schwerste innere Verletzungen hervorgerufen. Piet verlor eine Niere und war durch die Verletzung der Wirbelsäule von der Hüfte an querschnittgelähmt. Die schlimmste Folge aber waren die permanenten Schmerzen, die er durch die Verletzung zu erleiden hatte und die auch die hochdosierten Schmerzmittel, die er ständig einnahm, nur zeitweise lindern konnten. Medizinisch konnte Piet niemand helfen. Die Schmerzen blieben ein Teil seines restlichen Lebens. Nur sein unglaublicher Wille, sein Humor und seine einzigartige Persönlichkeit, gepaart mit seinem auch in der Verzweiflung nicht endenden Glauben an Gott, erlaubten ihm, mithilfe seiner ihn aufopferungsvoll pflegenden Frau, noch so lange am Leben zu bleiben. Ich habe mich aufgrund des grausamen Schicksals meines Freundes oft gefragt, ob es nicht besser gewesen wäre, wenn wir ihn auf der Schießbahn hätten »gehen lassen«. Piet hätte dies mit Sicherheit energisch bestritten und vermutlich behauptet, es hätte sowieso nicht in unserer Hand gelegen. Damit hat er vermutlich recht.
    Für den Unglücksschützen war das Geschehen natürlich ebenfalls ein menschliches Desaster. Es gelang ihm allerdings glücklicherweise, den schrecklichen Unfall nachträglich zu verarbeiten, ohne dass er einen dauerhaften psychischen Schaden davontrug. Was ihm dabei wesentlich half, war der Umstand, dass ihn als Verursacher keine Schuld traf. Es handelte sich um eine Verkettung unglücklicher Umstände. Natürlich hatte der Kollege an seinen moralischen Selbstvorwürfen schwer zu tragen, aber seine Familie fing ihn ebenso auf wie die Gemeinschaft in unserer Einheit. Am wichtigsten war sicherlich das direkte Gespräch zwischen dem Schützen und dem Opfer im Krankenhaus, unmittelbar nachdem Piet wieder aufgewacht war. Piet hat den Schützen auch aus seiner Sicht von jeder Schuld an dem Unglück freigesprochen, und das Verhältnis der beiden zueinander war bis zum Ende ungetrübt.
    Piet starb am 18. Januar 2009 an den Spätfolgen seiner schweren Verletzungen.
    Ruhe in Frieden, mein Freund!

SCHWERVERBRECHER
»Viele Menschen würden eher sterben als denken, und in der Tat: Sie tun es.«
Bertrand Russell
                                                                       Und wieder das nervtötende Piepsen des Alarmierungsgerätes mitten in der Nacht. Ich blicke schlaftrunken auf den Wecker neben meinem Bett, die Leuchtziffern zeigen 1:00 Uhr, die beliebteste Zeit für Einsätze …
    Meine Lebensgefährtin neben mir regt sich gar nicht erst, für sie sind meine nächtlichen Ausflüge schon zur Routine geworden. Leise, um sie nicht weiter zu stören, greife ich nach dem kleinen blauen Kasten mit Display, der Alarm geschlagen hat. Mittlerweile ist meine Einheit zu Alarmierungszwecken mit dem Primo-System der Telekom ausgerüstet worden, welche unsere alten Eurosignalempfänger abgelöst haben. Der Vorteil dieses Alarmierungssystems ist, dass über das Display des Geräts mit der Alarmierung eine Nachricht versandt werden kann, was bei den vorherigen Modellen noch nicht möglich war. Im Wohnzimmer blicke ich

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