SEK – ein Insiderbericht
nächtlichen Stunde dankenswerterweise zur Nutzung überlassen hat. Wir schütteln uns kurz die Hand, und er berichtet: »Die Wohnung ist im ersten Stock links, wenn man die Treppe hochkommt. Dort hat während der gesamten Zeit, in der wir hier in Position sind, kein Licht gebrannt, und es hat sich auch nichts gerührt, wie übrigens in dem ganzen Haus nicht.«
»Aber ihr wart noch nicht im Hausflur?«, frage ich den ET-Leiter.
»Nein, wir haben, wie abgesprochen, das Haus nicht betreten, sondern nur beobachtet.«
»Alles klar«, sage ich, »ist die Frau mittlerweile hier eingetroffen? Ich würde sie gern noch persönlich sprechen.«
»Die sitzt bei den uniformierten Kollegen in einem VW-Bus, ein Stück weiter weg, ich kann dich dorthin bringen.«
Gemeinsam mit dem ET-Leiter gehe ich zu dem Einsatzfahrzeug der uniformierten Beamten, welches außerhalb des Sichtbereichs des Zielobjektes in einer Seitenstraße steht. Die Frau ist natürlich aufgrund der Sorge um ihren kleinen Sohn, der sich noch in der Wohnung befindet, überaus erregt und kann kaum einen klaren Gedanken fassen. Ich versuche, sie zu beruhigen und ihr klarzumachen, dass wir alles versuchen werden, um ihr Kind heil aus dieser Situation herauszuholen. Letztlich gelingt es mir, ihr zumindest begreiflich zu machen, dass jede Information über das Innere der Wohnung für uns äußerst bedeutsam sein kann. Ich bekomme von ihr einen grob gezeichneten Grundriss und erfahre, dass sie bei ihrem mehr oder weniger überstürzten Verlassen der Wohnung die Tür nicht abgeschlossen, allerdings in der Hektik auch vergessen hat, ihren Schlüsselbund samt Haustürschlüssel mitzunehmen.
Dies ist eine schlechte Nachricht, denn bisher hatte ich gehofft, dass wir mithilfe ihres Schlüssels möglicherweise leise und unerkannt sowohl die Haus- als auch die Wohnungstür der Zielwohnung hätten öffnen können. Am liebsten würde ich laut fluchen, lasse mir aber weiter nichts anmerken. Ich erfahre ferner, dass die Zielperson sich im Wohnzimmer aufgehalten hat und dort auch ihr Nachtlager habe aufschlagen wollen. Bei der Wohnungstür handelt es sich offenbar nur um eine einfache Holztür ohne besondere Sicherungseinrichtungen. Aha, gut für uns: Sie dürfte also beim gewaltsamen Öffnen kein großes Hindernis darstellen.
Ich frage weiter, ob sie die Pistole und die Handgranate, von denen sie uns berichtet, mit eigenen Augen gesehen hat. Ja doch, er habe beide Gegenstände griffbereit auf dem Wohnzimmertisch abgelegt, ohne allerdings mit ihrem Einsatz zu drohen. Die Handgranate beschreibt sie als eiförmigen, dunkelgrünen Gegenstand mit einer geriffelten Oberfläche. Diese Beschreibung genügt mir, um sicherheitshalber davon auszugehen, dass wir es tatsächlich mit einem solchen Sprengkörper zu tun haben. Welcher Art und aus welcher Produktion die Handgranate ist, ob es sich eventuell um ein Eigenlaborat 15 oder auch nur um eine Attrappe handelt, ist für mich zweitrangig. Ich habe mir im Laufe meiner Tätigkeit beim SEK angewöhnt, immer von der schlechtesten aller denkbaren Möglichkeiten auszugehen und das zur Grundlage meiner Zugriffsplanungen zu machen. Sollte sich die Situation dann im Nachgang als positiver herausstellen: um so besser!
Zuletzt beschreibt mir die Frau noch, dass ihr kleiner Sohn, als sie die Wohnung verließ, in dem an das Wohnzimmer angrenzenden Kinderzimmer geschlafen hatte. Hierbei bricht sie in Tränen aus und macht sich Vorwürfe, ihren Jungen in der Wohnung allein gelassen zu haben. Ich versuche, beruhigend auf sie einzuwirken, indem ich ihr klarmache, dass sie gar keine andere Wahl gehabt hat. Ihr Cousin hätte sie bestimmt nicht gehen lassen, wenn sie versucht hätte, ihren Sohn mitzunehmen.
Alles kommt nun darauf an, dass die Zielperson nicht doch noch mitbekommt, dass die Polizei bereits vor der Haustür steht, und vor allem, dass wir keine Zeit verlieren, die unser Gegenüber möglicherweise doch noch misstrauisch machen könnte.
Ich betätige mein Funkgerät und informiere kurz meine Gruppe, die mittlerweile mit ihren Einsatzvorbereitungen fertig sein müsste. Wie immer funken wir auf einem eigenen Kanal, sodass meine Durchsage nur meine SEK-Kollegen hören können: »Hier Peter an alle. Schlechte Neuigkeiten. Wir haben keinen Haustürschlüssel, und die Bewaffnung wurde von der Wohnungsinhaberin gerade noch mal bestätigt. Der Bursche hat eine Faustfeuerwaffe und mindestens eine Handgranate. Max, ich brauche dich für eine
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