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SEK – ein Insiderbericht

SEK – ein Insiderbericht

Titel: SEK – ein Insiderbericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Schulz
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den Schützen und führen ihn hinter den Begrenzungswall der Schießbahn, sodass er keine direkte Sicht mehr auf die Unglücksstelle hat.
    Als ich Piet erreiche, liegt er auf dem Rücken, und ich erkenne Blut an seinem Arm und, was viel schlimmer ist, an seiner linken Bauchseite, welches bereits das Grau des Einsatzoveralls durchtränkt hat. Der Anblick genügt mir völlig. Ich greife zu meinem Diensthandy und wähle den Notruf. Da unser Schießstand etwas abgelegen ist, verlange ich, nach kurzer Schilderung des Geschehenen, bei der Rettungsleitstelle explizit einen Rettungshubschrauber, da nur der in kürzestmöglicher Zeit eintreffen kann. Ich winke Erwin, einen jüngeren Kollegen aus meiner Gruppe, zu mir. Erwin war wie ich vor seinem Wechsel zur Landespolizei Angehöriger des Bundesgrenzschutzes. Dort ist, wie ich aus eigener Erfahrung weiß, der Transport mit Hubschraubern und auch deren Landeeinweisung im Gelände, also außerhalb von Flughäfen, Teil der Ausbildung. Das Letzte, was ich in dieser Situation jetzt möchte, ist, dass der angeforderte Hubschrauber noch unnötig lange nach einem geeigneten Landeplatz suchen muss. Ich wende mich an den ziemlich geschockt wirkenden Erwin: »Schnapp dir einen GruKw und such dir eine geeignete Stelle aus, wo der Rettungshubschrauber landen kann. Schalte das Blaulicht ein, damit der Pilot das Ding aus der Luft erkennt, und weise ihn dann zur Landung ein, alles klar?«
    Erwin ist sichtbar froh darüber, dass er nun in dieser für uns alle bescheidenen Situation eine Aufgabe hat, die er erledigen kann, und bestätigt knapp: »Alles klar.« Dann läuft er in Richtung unserer abgestellten Fahrzeuge davon.
    Ich wende mich nun wieder Piet zu, der bereits von Bert, unserem Sani, untersucht wird. Piet ist ansprechbar, und mit seltsam anmutender Klarheit fragt er uns beide: »Jungs, wieso habt ihr denn auf mich geschossen?«
    Bert und mir versagt zunächst die Stimme, danach höre ich mich sagen: »Piet, das war ein Unfall, die haben dich hinter der Scheibe nicht gesehen.«
    Piet zeigt darauf keine erkennbare Reaktion und doziert, fast wie ein völlig unbeteiligter Beobachter, über das, was er gerade fühlt: »Ich habe einen Bauchschuss, wahrscheinlich ist meine Wirbelsäule verletzt, ich spüre meine Beine nicht mehr, und mir läuft das Blut in den Bauchraum, seltsam, ich spüre überhaupt keinen Schmerz …«
    Ich knie mich neben den Kopf meines Freundes und versuche, mit ihm zu sprechen. Um uns herum stehen alle Kollegen mit bleichen, fassungslosen Gesichtern und blicken auf den am Boden liegenden Piet. Männer, die, wie ich weiß, ohne zu zögern und freiwillig in eine Örtlichkeit hineinlaufen würden, in der ein schwer bewaffneter Straftäter auf sie wartet, sind nun den Tränen nahe.
    Ich flehe Piet an: »Halt durch, Alter, der Hubschrauber ist schon unterwegs.«
    Bert, der Sani, hat mittlerweile die Einschussstelle an Piets Bauch mit einem Verbandspäckchen abgedeckt und drückt die Wundauflage nun so fest auf die Wunde, wie es eben geht, um weiteren Blutverlust zu stoppen.
    Piet sagt nun wieder in seiner unheimlich, wie unbeteiligt wirkenden Art und mit mittlerweile schon sehr leiser Stimme: »Jungs, das liegt nicht mehr in unseren Händen …«
    Ich weiß, dass er während der letzten Jahre zum christlichen Glauben gefunden hat und sich in einer freichristlichen Gemeinde sehr engagiert. Ich habe in der Vergangenheit oft mit ihm über Glaubensfragen diskutiert, da ich selbst, wie viele Kollegen meiner Einheit, eher zu den religiösen Skeptikern gehöre, und Piet es sich offensichtlich zu seiner Aufgabe gemacht hat, gerade die skeptischen Leute von der Notwendigkeit des Glaubens, besonders in unserem Extremberuf, zu überzeugen. Doch das ist jetzt alles völlig nebensächlich. Solange Piet aus diesem Glauben die Kraft bezieht, um weiterzuleben, ist dies das Entscheidende. Denn dass die Verletzung absolut lebensbedrohlich ist, das können wir alle sehen.
    Während so das Warten auf den Rettungshubschrauber ewig zu währen scheint und unsere eigene Hilflosigkeit dabei schwer zu ertragen ist, erkenne ich, dass Piets Gesicht plötzlich jene wächserne Farbe annimmt, die für Sterbende charakteristisch ist. Seine Pupillen fangen an, starr zu werden. Ich wechsele mit Bert einen schnellen Blick, wohl wissend, dass auch er nichts mehr für Piet tun kann. Das Dröhnen des im Anflug befindlichen Hubschraubers nehme ich schon gar nicht mehr wahr, als ich mich zu Piets bleichem

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