SEK – ein Insiderbericht
»Feuer frei«.
Ich ziehe die Schulterstütze des HK G3 fest in meine Schulter ein, da ich weiß, dass das Gewehr wegen seines im Vergleich zu der brisanten Munition eher geringen Gewichts einen äußerst unangenehmen und heftigen Rückschlag hat, wodurch ein zu dicht an die Optik des Zielfernrohrs gehaltenes Auge des Schützen sich schnell in das schönste Veilchen verwandeln kann. Ich lege den Sicherungshebel um und warte darauf, dass der Karren sich in Bewegung setzt. Durch das Fadenkreuz des Zielfernrohrs halte ich auf die Mitte der Kopfsilhouette an. Als sich das Gefährt mit der Zielscheibe plötzlich in Bewegung setzt, folge ich dieser Bewegung mit dem Gewehr und halte die Luft an, um zu verhindern, dass durch die Atembewegung des Körpers die Schussabgabe beeinflusst wird. Ich ziehe den Abzug ruhig und ohne Ruck nach hinten, der sehr laute Knall des Gewehrschusses wird durch meine Gehörschützer gedämpft, ist aber im Vergleich zu einem Schuss aus der Pistole immer noch viel lauter. Neben mir liegt Jack hinter dem zweiten Gewehr und schießt fast zeitgleich mit mir. Ich sichere mein Gewehr und schaue nach vorne in Richtung Kugelfang. Jack und ich stehen auf und gehen die 75 Meter nach vorn zu der eben von uns beschossenen Scheibe, an der Piet bereits die Trefferwirkung begutachtet. Mit seinem unnachahmlichen breiten Grinsen schaut er uns beide an und sagt: »Schlechter Tag für den Typen da …« Dabei deutet er mit dem Daumen auf zwei Einschusslöcher, die sich kaum einen Zentimeter voneinander entfernt in der Mitte der Kopfsilhouette befinden.
Auch Jack und ich grinsen uns an, wohl wissend, dass wir jetzt eigentlich aufhören sollten, weil uns ein besserer Schuss bestimmt nicht mehr gelingen wird. Wir schlendern zurück und entfernen uns ein wenig von der Schießbahn, um mit den Kollegen, die gerade nicht an der Reihe sind, ein Schwätzchen zu halten. Und so geht es weiter, immer zwei Kollegen gehen nach vorn, legen sich hinter die Gewehre und beschießen die sich auf dem Karren bewegende Scheibe.
Und während wir dort beisammenstehen und uns unterhalten, ertönt plötzlich von der Stelle, wo die Schützen liegen, ein Warnruf: »Nicht schießen, der Piet ist …«
Während ich mich umdrehe, ertönt ein weiterer Gewehrschuss. Was nun folgt, spielt sich für mich alles ab wie in einem Film.
Sehr viel später, nach der offiziellen Untersuchung, steht dann folgender Geschehensablauf fest.
Piet wollte offenbar die alte, durchlöcherte Schießscheibe auf dem Karren gegen eine neue austauschen und schob den Karren daher auf die Seite des Schießplatzes, wo sich die Scheiben befanden. Die Scheibe verdeckte aber seinen gesamten Körper vom Kopf bis hin zu den Knien. Der derzeit hinter dem Gewehr liegende Schütze unserer Einheit bemerkte deshalb und aufgrund der bereits beschriebenen Sichteinschränkung durch das Zielfernrohr nicht, dass sich Piet hinter der Scheibe befand und es sich nicht um den normalen Übungsablauf handelte. Der Warnruf eines Kollegen, der hinter dem Unglücksschützen postiert war, konnte die Schussabgabe nicht mehr verhindern …
Ich sehe, wie Piet rückwärts zu Boden fällt und liegen bleibt. Aber auch in diesem für uns alle schockierenden Moment »funktioniert« mein antrainiertes Verhalten, das es mir ermöglicht, nicht kopflos zu reagieren.
Während alle noch ungläubig in Richtung des auf dem Boden liegenden Piet starren, rufe ich: »Sani, komm mit! Ein Mann bleibt beim Schützen, der geht nicht mit nach vorn …« Ich will auf jeden Fall verhindern, dass der Unglücksschütze die Verletzungen, die er verursacht hat, zu Gesicht bekommt.
Unsere Einheit verfügt über mehrere Rettungssanitäter, deren Hauptaufgabe es ist, bei Verletzungen, die im Einsatz oder eben auch während der Ausbildung entstehen können, eine qualifizierte Erstversorgung des Verletzten sicherzustellen, bis der Notarzt übernehmen kann. Diese Beamten sind natürlich in erster Linie SEK-Beamte mit einer mehrwöchigen Zusatzausbildung, die im Übrigen auf einer freiwilligen Meldung hierzu beruht. Über ihren Grundkurs hinaus müssen sie jährlich ein Praktikum auf einem Rettungswagen oder in der Unfallaufnahme eines Krankenhauses absolvieren, um auf dem neuesten Stand zu bleiben.
Bert, der für das heutige Schießen als Sani eingeteilt ist, greift sich seinen Erste-Hilfe-Rucksack und rennt mit mir und den meisten anderen Männern nach vorn zur Unglücksstelle. Zwei Kollegen kümmern sich derweil um
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