SEK – ein Insiderbericht
auf das Display. »Leitstelle anrufen, Einsatz«, steht dort geschrieben – um diese Uhrzeit wirklich keine sensationelle Neuigkeit.
Nachts sind stets SEK-Kräfte aus verschiedenen Regionen des Landes in Rufbereitschaft. Und so ist jeder von uns in schöner Regelmäßigkeit und manchmal sehr kurzen Intervallen dran. Die Rufbereitschaft dauert jeweils eine Woche, und man kann davon ausgehen, dass einen in dieser Woche mindestens eine Alarmierung ereilt – und dann eben häufig in der Nacht. Natürlich steht uns dafür keine normale Schichtdienstzulage zu, da wir ja keinen »regelmäßigen« Schichtdienst versehen. Dass aber gerade diese unregelmäßigen und unvorhergesehenen Wechsel in der Arbeitszeit unsere Gesundheit und unseren Biorhythmus besonders beanspruchen, hat sich offensichtlich bei den Verantwortlichen bis heute noch nicht herumgesprochen …
Ich wähle die Nummer der Leitstelle und habe nach kurzer Zeit den Dienstgruppenleiter an der Strippe, einen Kollegen, den ich schon von zahlreichen Alarmierungen her kenne: »Guten Morgen, tut mir leid, dich zu wecken, aber wir haben einen Einsatz für euch.« In seiner Stimme schwingt ehrliches Bedauern mit, weil er weiß, wie häufig wir in der Nacht aus dem Schlaf geholt werden.
»Kein Problem«, antworte ich und krame nach meiner auf dem Wohnzimmertisch bereitgelegten Einsatzmappe, um mir Notizen machen zu können.
»Vor etwa einer halben Stunde kam eine Frau, vermutlich serbischer Nationalität, auf die Polizeiwache in E. und gab an, dass ihr Cousin, ein in Exjugoslawien wegen Mordes gesuchter Straftäter, sich in ihrer Wohnung aufhalten würde.«
»Ok«, sage ich abwartend, wohl wissend, dass dies noch nicht alles sein kann. Grundsätzlich müssen ja des Mordes verdächtige Personen nicht durch ein SEK festgenommen werden. Nur dann, wenn sie über Schusswaffen verfügen oder als besonders gewalttätig gelten, ist unser Einsatz unumgänglich.
Der Leitstellenbeamte ergänzt auch prompt: »Laut Aussage der Frau hat die betreffende Person im ehemaligen Jugoslawien mehrere Morde begangen, ist Kriegsteilnehmer im Bürgerkrieg gewesen und hat bei einem Aufenthalt in Frankreich einem Polizeibeamten bei einem Festnahmeversuch die Waffe abgenommen. Ob er auf den französischen Kollegen auch geschossen hat, wissen wir noch nicht. Anfrage beim BKA über die Person läuft.«
Ich pfeife leise durch die Zähne: »Na, das scheint mir ja ein sehr sympathischer Zeitgenosse zu sein.«
»Das Schlimmste kommt ja erst noch«, beeilt sich der Kollege der Leitstelle zu ergänzen, »der Typ hat laut Aussage seiner Cousine die Schusswaffe des französischen Gendarmen dabei. Und eine Handgranate …«
»Verdammt«, denke ich bei mir, »wieso immer ich?«
Ich war mir der Tatsache irgendwie nie besonders bewusst, aber plötzlich wird mir klar, dass offensichtlich ich bei jeder Lage in unserem Bundesland und darüber hinaus, wo der oder die Täter in irgendeiner Weise mit Handgranaten oder Sprengmitteln drohen, mit meiner Anwesenheit glänzen darf. Eine mehr als zweifelhafte Ehre …
»Und«, als wäre dies noch nicht genug, spricht der Kollege weiter, »der kleine Sohn der Frau, drei Jahre alt, befindet sich noch in der Wohnung.«
»Na, toll«, antworte ich ironisch, »ist das jetzt alles?«
»Ja, leider«, antwortet mein Gesprächspartner, »tut mir leid, dass ich keine besseren Infos für euch habe.«
»Alles klar«, antworte ich ihm, während durch meinen Kopf bereits die ersten wichtigen Entscheidungen schwirren, die jetzt zu treffen sind.
»Wartet die Zielperson darauf, dass die Frau zurückkehrt?« Meine Frage zielt darauf ab, abzuschätzen, ob der Täter durch ein längeres Fernbleiben seiner Cousine misstrauisch werden könnte, denn natürlich können wir sie in dieser Lage schwerlich wieder zurück in die Wohnung lassen.
»Die Frau sagt nein«, antwortet mir der Kollege der Leitstelle, »sie hat ihren Cousin gebeten, wo er schon mal da wäre, auf ihren Sohn aufzupassen, da sie sehr früh zur Arbeit müsse. Er hat sie oder ihren Sohn auch in keiner Weise bedroht. Sie hat den Eindruck, dass ihr Cousin einfach nur bei ihr untertauchen will. Daher habe sie ihn einfach so normal wie möglich um diesen Gefallen gebeten.«
»Schlau«, denke ich bei mir, »wenn der Typ das schluckt, stehen wir zumindest nicht unter unmittelbarem Zeitdruck.« Und sage laut: »Ganz wichtig ist, dass unsere Zielperson nicht mitbekommt, dass die Polizei im Spiel ist. Keine offenen
Weitere Kostenlose Bücher