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Sekunde der Wahrheit

Titel: Sekunde der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hayes Joseph
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Wahrscheinlichkeitsberechnung kümmert sich Irish Thrall, ein Grauschimmel aus Irland, ebenfalls nicht. Aber vielleicht weiß seine bildhübsche Besitzerin, Mrs. Brigid Tyrone von Innisfree Demesme in der Grafschaft Galway, nicht, daß bisher nur drei Grauschimmel das Derby gewonnen haben. Oder sie zerbricht sich ihren rothaarigen Kopf nicht wegen solcher Banalitäten.
    Man hat schon erlebt, daß unter ›ferner liefen‹ eingestufte Pferde als erste durchs Ziel gingen, und möglicherweise gewinnt diesmal ein Schimmel namens Also Ran. Trotzdem sei der Besitzer, der ehemalige Baseballstar JD Edwards, gewarnt: Bisher haben erst sieben Schimmel das Derby gewonnen. Also werden wir am kommenden Sonnabend vermutlich Also Ran unter ›ferner liefen‹ sehen, wie sein Name besagt.
    Er befindet sich auch da noch in guter Gesellschaft, beispielsweise der eines schwerfälligen Fuchses namens Prescription, der – wie könnte es bei dem Namen ›Rezept‹ auch anders sein – einem Apotheker aus Indiana gehört. Selbst bei zweitklassigen Rennen hat er sich noch nicht besonders hervorgetan, aber vielleicht hat sein Besitzer ein Wundermittel parat. Er wird es brauchen.
    Aus Florida kommt ein zierlicher Rappe, Hotspur – Nasrullah-Blutlinie durch Nashua –, mit einer etwas indifferenten Erfolgsbilanz. Das Tropical-Park-Rennen gewann er mit fünf Längen im Januar und kam dann auf einen schwachen vierten Platz beim Arkansas Derby. Hotspur ist das einzige Pferd, das von seinem Besitzer auch trainiert wird. Kann man das mit dem Anwalt vergleichen, der sich selbst vertritt, der also einen Narren zum Klienten hat? Wissen Sie, wieviel Rappen jemals das Derby gewonnen haben, Mr. Clayton Chalmers? Ich sage es Ihnen. Ganze vier.
    Als letzter in jeder Weise sei ein armer, überstrapazierter Rotfuchs namens Dealer's Choice erwähnt. Ist Nomen Omen? Er wurde am Dienstag für das Derby gemeldet, wurde fünfter im Bluegrass und wird heute im Stepping-Stone-Rennen starten. Meinem geübten Auge nach ist er zweitklassig und erschreckend überarbeitet.
    Obgleich das die wahrscheinlichen Teilnehmer sind, ist die Liste erst dann offiziell, wenn ihre Namen zwei Tage vor dem Derby in den Kasten gesteckt werden. Und natürlich erst, wenn die Besitzer die viertausend Dollar Nenngeld und die dreitausendfünfhundert Dollar Startgeld bezahlt haben. Es kann noch viel passieren bis zum Donnerstag und erst recht bis zum Sonnabend, wie man schon gesehen hat.
    Überlegen Sie nur. Einmal wurde ein Pferd mit einer Quote von 91:1 Sieger. Ab und zu siegten Pferde, die noch nie ein Rennen gewonnen hatten. 1953 wurde der haushohe Favorit Native Dancer nur Zweiter, nachdem er zuvor elf Rennen nacheinander für sich entschieden hat und anschließend zehn weitere! Der damalige Sieger Dark Star schlug nie ein anderes Pferd! Und selbst der berühmte Discovery konnte keinen Derby sieg erringen.
    Es ist also noch alles offen. Und wie man mir zugeflüstert hat, ist das große Geld noch wichtiger als der Ruhm.
    Weitere Erleuchtungen und Blicke hinter die Kulissen folgen jeden Tag um elf über diesen Sender. Bis morgen also grüßt Sie Ihr gehorsamer, aber keinesfalls bescheidener Diener Graf Wyatt Slingerland und wünscht Ihnen viel Vergnügen. Laßt Euch nicht verblüffen und übers Ohr hauen, all Ihr Fans und Besserwisser und Narren!«
    Der Flughafen Charlottesville-Albemare, wo Andrew seine schnittige Beechcraft Duke stehen hatte, um nur ja kein Weideland der riesigen Blue-Ridge-Farm für eine private Rollbahn zu opfern, lag nun weit hinter ihnen. Noch ballte sich der Bodennebel in dichten Schwaden in den Tälern, aber in zweitausend Meter Höhe glitzerte die Luft klar und silbern, so daß es fast blendete. Ob all die Menschen da unten in den fruchtbaren Landstrichen – wo sich gewundene Straßen mit Tälern und Farmen abwechselten – einem Traum nachhingen, gleich wie unerfüllbar, hoffnungslos, unsinnig oder größenwahnsinnig er scheinen mochte? Solche Gedanken waren für Kimberley Cameron nicht typisch, aber an diesem Sonntagmorgen befand sie sich in einer seltsamen Stimmung. Ob das an der bevorstehenden Derby-Woche lag? Sehr merkwürdig. Ihre Hände lagen an den Kontrollhebeln, aber nicht so spielerisch wie Andrews auf dem anderen Pilotensitz neben ihr. Sein allmählich grau werdender Kopf war geneigt, und aus seinem gut geschnittenen Gesicht mit festem Kinn und edlem Profil sprach Gelassenheit. Wie immer. Die klaren grauen Augen schauten nach vorn. Ohne ihre

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