Sekunde der Wahrheit
golden überhaucht von der Morgensonne. Auf der Sandbahn krochen Traktoren mit Rechen dahin, um das Geläuf nach dem Morgentraining für die nachmittäglichen Rennen zu glätten. An der Zielgeraden die wie ein Herrenhaus aus den Südstaaten wirkende große Zuschauertribüne mit den berühmten zwei Türmchen, das Clubhaus und die vertrauten Dächer. Weniger ansehnlich wirkten die Stallungen, Scheunen und Pferdehänger an der Gegengeraden, zwischen denen es um diese Zeit fast menschenleer war. Das Grün innen in der Bahn leuchtete saftig. Von oben sah alles unwirklich aus, ebenso wie der träge dahinfließende Ohio mit Frachtkränen und graziösen Strahlträgerbrücken. Während Andrew vom Tower Landeinstruktionen erhielt, überfiel Kimberley von neuem Panik. Nicht landen, Andrew, ich will nicht hierher, flieg zurück, Andrew, ich habe Angst, ich will nach Hause, bring mich heim, bitte, Andrew!
Doch kein Laut kam über ihre Lippen. Verkrampft und verzweifelt und gleichzeitig voll freudiger Erregung saß sie da und wartete, bis die Maschine aufsetzte.
Nachdem die Formalitäten an der Eingangskontrolle an der Fourth Street und anschließend im Meldebüro des Rennsekretariats erledigt waren, beschloß Clay Chalmers, sich zu Fuß zwischen den Stallgebäuden die Stallung Nr. 27 zu suchen. Was ihm gerade noch gefehlt hätte, wären Fragen von Bernie gewesen – wie etwa, warum der Besitzer und gleichzeitig Trainer eines Derbypferdes auf der Rennbahn Churchill Downs mit einem klapprigen Lieferwagen aufkreuzte und wo denn das rasante, weiße MG-Kabrio abgeblieben sei. Tatsache war, daß er den Wagen in Memphis günstig verkauft hatte. Trotzdem war ihm, nachdem Stallmiete, Futterkosten, Tierarzthonorar beglichen waren und er Bernie, Elijah und den Pferdepflegern den Wochenlohn in die Hand gedrückt hatte, kaum noch etwas übrig geblieben. Wenn sich allerdings Hotspur nicht fünf Tage vor dem Flamingo-Rennen einen Nagel in den Huf getreten hätte, so daß er sich nicht einmal im Florida-Derby platzieren konnte, dann … Das war immer das Traurige, dieses wenn beim Rennen, im Leben überhaupt.
Allerdings mußte er fast dankbar sein, daß Hotspur trotz leicht erhöhter Temperatur zuvor im Arkansas-Derby als vierter eingelaufen war, was immerhin noch achttausend Dollar eingebracht hatte. So ging es weiter von Rennen zu Rennen, man lebte von der Hand in den Mund und kam knapp über die Runden. Wenn er jedoch den Sieger gestellt hätte, wäre dies mit siebenundzwanzigtausend Dollar honoriert worden, und es immerhin noch zu Platz drei gereicht hätte, würden dreizehntausendfünfhundert herausgeschaut haben. Wenn – zum Teufel damit.
Im Bereich der Stallungen war nicht viel los. Die Morgenarbeit war seit längerem getan und nur bei den Ställen, in denen die Teilnehmer der Nachmittagsrennen standen, regte sich etwas. Ein Pfleger striegelte hingebungsvoll einen Fuchs, und ein Tierarzt inspizierte den Vorderfuß eines Pferdes, aufmerksam beobachtet vom Trainer und dem Stallknecht. Es roch nach aufgebrühtem Kaffee und gebackenem Speck, nach Stroh, Pferdeäpfeln und Salbe, nach den Ausdünstungen der Tiere. Man hörte von ferne den hellen Klang des Hammers eines Hufschmieds, leises Wiehern, strohgedämpftes Scharren, Rock aus einem Radio und Gesprächsfetzen, selten Gebell.
Bekanntlich sind Pferde nicht gern allein, und so werden Tiere als Maskottchen mitgenommen, Hunde, Katzen, Hühner, sogar eine Ziege. Über den Lautsprecher wurde ein Schmied zu Stall 27 gerufen, jemand wurde ans Telefon im Rennsekretariat gebeten, dann wurden die ersten Streichungen von der Starterliste der Nachmittagsrennen verlesen. Clay Chalmers fühlte sich wie zu Hause, ganz entspannt, wie immer, wenn er in einer Rennbahn anlangte, und gleichzeitig geistig und körperlich voller Spannung. Und seelisch, falls es eine Seele gab.
Als er sich Stall 27 näherte, konnte er Hotspurs Kopf nicht entdecken. Doch dann vernahm er ein vertrautes Wiehern und eine ebenso vertraute raue und zugleich sanfte Stimme: »Jetzt halt still. Werd nicht frech zu Eli, sonst kriegst du es gleich zurück.«
Hotspurs Kopf erschien an der Tür, ein Ohr zurückgelegt, das andere nach vorn spielend. Er pendelte mit dem Kopf hin und her, dann auf und ab. Das sternförmige Abzeichen auf der Stirn hob sich leuchtend vom glänzenden, tiefschwarzen Fell ab.
Der Anblick des Pferdes ließ Clays Herz wie immer höher schlagen. Dann tauchte neben dem Pferdekopf das dunkelbraune Gesicht Elis
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