Selber schuld!: Ein Wegweiser aus seelischen Sackgassen (German Edition)
Gänsehaut. Das ist ein Bild von Sühne zum Anfassen! Der Tod des Bruders ist gesühnt. Der Mann ist jetzt ein neuer Mensch – kein Sklavenhändler mehr, sondern Missionar.
Beichten tut der Psyche gut
Was Raskolnikow getan hat, um die Wunde, die die Schuld geschlagen hat, wieder zum Heilen zu bringen, war der Prozess der Reue – also Schuldbewusstsein zuzulassen und die Schuld nicht weiter zu verdrängen. Reue kann man psychodynamisch als Trauerarbeit über die begangenen Taten verstehen, die nach dem Muster ablaufen, die der Psychologe Jorgos Canacakis in seinem Buch »Ich sehe deine Tränen« beschrieben hat. Dieser Prozess ist ein innerer Konflikt, in dem Bauch und Herzensgewissen um die Vorherrschaft ringen. Erst das Schuldbekenntnis ist der Durchbruch, weil Rodja Raskolnikow durch einen irreversiblen Akt der Öffnung danach nicht mehr in die Verdrängung zurück kann. Der Abschluss der Reue ist die Sühne: eine (selbst- oder fremdauferlegte) Strafe, die man »verdient« hat, die einen läutert und somit subjektiv von der Schuld befreit. Das reuevolle Schuldbekenntnis – oder eben die Beichte – ist Balsam auf die schuldgeplagte Seele, unabhängig vom religiösen Kontext. Das kann die Psychologie heute schon recht gut anerkennen.
Der kanadische Psychoanalytiker Henri Ellenberger schrieb in den 1970er Jahren das Standardwerk über die Geschichte der Psychotherapieforschung mit dem monströsen Titel »Die Entdeckung des Unbewussten: Geschichte und Entwicklung der dynamischen Psychiatrie von den Anfängen bis zu Janet, Freud, Adler und Jung«.
In diesem Buch findet man ein ganzes Kapitel, das man dort nicht suchen würde: über »Heilung durch Beichte«. Darin wird unter anderem klargestellt, dass irgendeine Form von ritualisierter Sündenvergebung nach einem Schuldbekenntnis in den meisten Kulturen zu finden ist. Dass dieses Ritual schlussendlich dem Menschen guttut. Ellenberger betont, dass bei den meisten »primitiven Völkerschaften« der Begriff »Sünde« das Gleiche bedeutet, wie Tabus zu verletzen. Das heißt, dass gemeinsame Werte – wie zum Beispiel die Ehe – durch Tabus geschützt wurden. Das Sündenbekenntnis war nach Ellenberger dort meist öffentlich, ein Beichtgeheimnis existierte nicht. Die Beichte selbst wurde oft ergänzt durch gewisse Eliminationsverfahren wie Waschungen, Erbrechen und Aderlässe. Die Azteken, Mixteken und Inkas legten beispielweise oft bei einem Priester die Beichte ab. Ehebruch und Trunkenheit waren dabei die beiden Hauptsünden, die gebeichtet werden mussten. Hier sehen wir, dass sich in der Menschheitsgeschichte das natürliche psychologische Bedürfnis nach Schuldvergebung zunehmend kulturell niedergeschlagen und ritualisiert hat. Ellenberger fasst zusammen: »Die therapeutische Wirkung der Beichte ist nicht zu übersehen«. Beichten ist dem Menschen gemäß und tut der Psyche gut.
Der Psychoanalytiker Rolf Reißmann postuliert: »Gewiss: Sinn der psychoanalytischen Praxis ist schließlich die Beichte. Damit tritt sie mit der Kirche in Idealkonkurrenz.« Er meint hier – wie schon Alfred Hitchcock in seinem Film »I confess« – weder Azteken, Mixteken noch Inkas, sondern die katholische Beichte. Diese hat weltweit die Sündenvergebung am klarsten ritualisiert. Judentum, Islam und die evangelische Christenheit kennen dieses Ritual mit Reue, Schuldbekenntnis und Sündenvergebung nicht mit gleicher Klarheit.
Carl Gustav Jung, Sohn eines evangelischen Pastors, hat die Psychoanalyse gerne mit der katholischen Beichte verglichen und festgehalten: »Die Psychoanalyse ist eine logische Weiterentwicklung der Beichte.« Und: »Meine Methode ist wie die Freuds auf der Praxis der Beichte aufgebaut.« Von Jung wird übrigens erzählt, dass er einen Patienten beim Erstgespräch gefragt habe, ob er katholisch sei. Als dieser bejahte, meinte der Psychiater angeblich: »Dann gehen Sie erst einmal beichten, und dann kommen Sie wieder, wenn es dann noch nötig ist.« Leider ist es mir nicht gelungen herauszufinden, weswegen der Patient C. G. Jung konsultiert hatte. Diese Anekdote zeigt aber, dass beide Kompetenzen gut harmonieren, wenn die Unterschiede ausreichend klargestellt sind.
Psychotherapie und Beichte
Tatsächlich findet man zwischen den »Idealkonkurrenten« Psychotherapie und Beichte durchaus Gemeinsamkeiten: Beide sind ritualisierte Gespräche. Bei beiden haben die Klienten einen subjektiven Leidensdruck: Man geht hin, weil man ein spezifisches Problem
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