Selber schuld!: Ein Wegweiser aus seelischen Sackgassen (German Edition)
hat, das man loswerden möchte. In beiden Gesprächsformen besteht eine asymmetrische Beziehung, bei der ein Leidender und Hilfesuchender auf einen Experten trifft. Entgegen mancher ideologischer Phantasien ist beides nicht Austausch »auf gleicher Augenhöhe«. In beiden Fällen wird das persönliche Leben des Experten im Gespräch ausgeklammert, und bei beidem besteht ein klarer Auftrag von Seiten des Klienten. Beide kennen das Schuldbekenntnis, das an sich schon Heilkraft hat. Und bei beiden sollte bei professioneller Handhabung die Schuld nicht relativiert oder wegpsychologisiert werden.
Dennoch haben Psychotherapie und Beichte auch außerhalb der Sündenvergebung unterschiedliche Aufgaben und »Aufträge« des Klienten. Ein Psychotherapeut kümmert sich um die Befindlichkeit des Menschen. Seine Aufgabe ist es, den Patienten frei zu machen. Denn oft hat der Mensch seine Freiheit verloren, etwa durch Depressionen oder Ängste. Angst schränkt die persönliche Freiheit extrem ein. Der Therapeut muss dem Patienten somit seine Handlungsfähigkeit zurückgeben. Der Seelsorger hingegen ist dafür zuständig, dem Menschen zu zeigen, was er mit seiner Freiheit anfangen kann. Denn nur wenn der Mensch frei ist, kann er sich zwischen Gut und Böse entscheiden, kann er sich in Tugenden üben oder in der Sünde verfangen. Dem Seelsorger obliegt es auch, mit dem Betroffenen die moralische Dimension seines Handelns zu erörtern.
Der Beichtvater ist klassischerweise in der Rolle des guten Hirten, des barmherzigen Samariters, des Vaters des verlorenen Sohnes und des gerechten Richters. Der Psychotherapeut hingegen grenzt sich ab, ist außerhalb der Therapiestunden nicht zuständig und wertet, urteilt oder richtet nicht. Die Aufgabe des Priesters ist es, immer da zu sein (noch dazu unentgeltlich), während der Psychotherapeut so schnell wie möglich nicht mehr nötig sein sollte (der wird auch bezahlt). Therapeuten, die ihre Klienten – oft aus finanziellen Gründen – psychisch an sich binden oder von sich selbst abhängig machen, sind traurige Ausnahmeerscheinungen. Solche Abhängigkeit ist ein sicheres Zeichen für Kurpfuscherei. Das Weltbild und die Wertvorstellungen des Experten sind in der Beichte sehr wesentlich: Der Beichtende erwartet von ihm, dass er glaubt und sagt, was seine Kirche lehrt. Das Weltbild des Therapeuten sollte in der Therapie nicht relevant sein, sonst verkommt sie zur Manipulation. Die Sittlichkeit des berichteten Lebens ist in der Beichte relevant, in der Psychotherapie nicht, denn die Couch ist nach psychotherapeutischem Ethos eine moralfreie Zone. Das bedeutet natürlich nicht, dass der Therapeut nicht selbst ethische Prinzipien hat, aber er hat nicht den Auftrag, diese dem Klienten zu vermitteln. Methodisch arbeitet die Beichte mit Reue, Bekennen und Absolution, während die Psychotherapie auf Selbsterkenntnis und die Erforschung der eigenen unbewussten psychischen Anteile setzt und so Grundhaltungen aufdeckt, die zu Selbstbetrug und psychischen Konflikten beitragen.
Johannes B. Torello, zunächst Psychiater, später aus Überzeugung ausschließlich katholischer Priester und ein gefragter Beichtvater, stellte klar: »Das Schlimmste beim Beichtpriester ist die Entsakralisierung des eigenen Amtes durch Psychologisierung der Sünde: die Verharmlosung der Schuld bis zur Verflüchtigung.« Tragisch sei eine Relativierung der Selbstanklage in der Beichte, denn dann fühlten sich die Pönitenten nicht ernst genommen. Die Beichte dürfe nicht eine billige Imitation und Karikatur einer Psychotherapiesituation sein, deshalb sei dem Beichtstuhl gegenüber dem Aussprachezimmer der Vorzug zu geben. Auch garantiere das Beichtgitter den Schutz von Priester und Beichtkind in dieser maximal intimen Situation. Nichts ist bekanntlich so intim wie die Schuld.
Priester wissen oft nicht, welch starkes und psychologisch heilsames Instrument sie mit der Beichte in der Hand haben.
Ein evangelischer Psychiater, Jungianer und damit heimlicher Bewunderer der katholischen Beichte, erzählte mir vor Jahren, dass er einmal von einem katholischen Priester angesprochen wurde: »Herr Professor X, wir beide haben im Grunde einen sehr ähnlichen Job. Es gibt Psychiater, die die Patienten in fünf Minuten mit einem Medikament abspeisen. Auch unter uns Priestern gibt es solche, die so agieren.« Bei ihm dauere eine gute Beichte im Gegensatz zu diesen eben über eine Stunde, weil er die psychologische Ursache der »Sünde«
Weitere Kostenlose Bücher