Selber schuld!: Ein Wegweiser aus seelischen Sackgassen (German Edition)
abgespalten. Mit dem Aussprechen des »Ich bin schuldig« kann sich der Täter von der Tat distanzieren und damit auch lösen. Erst als er Sonja die Wunde zeigt, kann diese zu heilen beginnen. Raskolnikow erbittet Gerechtigkeit, muss richtiggehend darum kämpfen, beschönigt auch im Prozess nichts mehr. Das ist überzeugend. Das ist jetzt echt. Das kommt aus der Herzensmitte. Die Schuld muss in aller Brutalität benannt werden, ohne Beschönigungen und psychologische Schnörkel. Sonja macht anfangs den Fehler so mancher Psychotherapeuten und mitunter auch Beichtväter, nach Rechtfertigungen zu suchen und die Tat zu verharmlosen. Doch dieses Bagatellisieren streut nur Salz in die Wunden, indem es den Täter erneut in seinen Selbstbetrug hinunterstößt.
FALL 39: Der 46-jährige Franz Joseph G. kommt aufgelöst und fahrig in die Praxis. Er habe ein Riesenproblem. Es gehe um das Internet. Seine Frau und seine Söhne wüssten von nichts. Der Psychiater versucht zu ordnen: Pornographie? Ja. Der Mann ist ganz außer sich. Sichtlich fällt es ihm schwer, die richtigen Worte zu finden. Er habe noch mit niemandem darüber gesprochen. Der Psychiater beginnt mit Fragen zu helfen. Er sei ein höherer Angestellter. Sein Computer sei routinemäßig überprüft worden, dabei sei viel pornographisches Material gefunden worden. »Inklusive Gewaltdarstellungen bis hin zur Vergewaltigungspornographie. Nur keine Kinder, Gott sein Dank!« Sein Chef habe ihn schließlich zur Rede gestellt. Das kurze Gespräch sei beiden sehr peinlich gewesen. Aber interessanterweise war das Erwischtwerden auch eine Art von Erleichterung. Ein Schlussstrich. Erst dadurch kann Franz Joseph G. sich selbst eingestehen, dass er in diesem Bereich ein echtes Problem hatte. Jahrelanges Verdrängen und Heimlichtuerei waren zu Ende. Seine Frau hatte schon Verdacht geschöpft, weil er so häufig unerklärlich lange im Büro geblieben war. Herr G. redet inzwischen wie ein Wasserfall. Er habe mit seinem Vorgesetzten vereinbart, dass er in Behandlung gehe und die Sache betriebsintern nicht weitergeleitet werde. Er fühle sich so schuldig, vor allem gegenüber seiner Frau. Aber auch gegenüber seinen Söhnen – die Frauen, die er da angaffe, seien genauso alt wie deren Freundinnen. Und gegenüber den Darstellerinnen, denn er wisse, dass die das nicht ganz freiwillig machen, da habe er sich schon erkundigt. Besonders wegen der Vergewaltigungspornographie: Er finde es entsetzlich, dass gerade er auf so etwas abfahre, wo ihm doch sonst die Würde der Frau ein großes Anliegen sei. Er verstehe sich selber nicht, aber das Reden tue ihm gut. Herr G. kommt in der Zwischenzeit nur mehr alle zwei Monate zur Therapie. Er ist seit einem Jahr vollkommen weg von jeglichem Pornographiekonsum.
ANALYSE: Viele Patienten mit Internetpornographiesucht sind erleichtert, wenn sie sich überwinden können, mit einem Außenstehenden darüber zu reden. Das Thema ist so schambesetzt, dass es fast immer jahrelang geheim gehalten wird. Dieses Öffnen bei einem Experten hat schon in sich eine beeindruckende therapeutische Kraft.
Schließlich ist noch die Sühne zu erwähnen. Die kommt nach dem Bekenntnis. Rodja Raskolnikow wird in Sibirien geläutert, zu einem neuen Menschen. Sühne ist eine subjektive Wiedergutmachung seiner Schuld, auch wenn der Schaden irreversibel ist.
Kennen Sie den Film »Mission« von Roland Joffé aus dem Jahr 1986? Dort tötet Robert De Niro als Sklavenhändler seinen Bruder im Streit um eine Frau und wird dann, verzweifelt über seine Tat, Jesuit. Er kann sich sein Verbrechen nicht vergeben. Auf dem Weg in die Jesuitenreduktionen zieht er als selbstauferlegte Sühne in einem Netz seine schwere Rüstung die Iguazu-Wasserfälle hinauf. Tolle Bilder. Tolle Musik von Ennio Morricone. Der Sklavenhändler ist am Ende völlig erschöpft. Aber kämpft sich auf allen vieren weiter. Die Ordensbrüder können seine Qualen nicht länger mit ansehen, wollen ihn von der Last befreien. Doch der Chef der Truppe bremst sie und wendet ein, De Niro müsse selbst entscheiden, wann seine Tat genügend gesühnt sei. Als die Gruppe bei den Indianern ankommt, erkennen diese in ihm den einstigen Verfolger und wollen ihn töten. Der Sklavenhändler ist bereit zu sterben. Ihm ist alles egal. Aber die Indianer üben überraschend Barmherzigkeit und schneiden das Seil durch – die Rüstung und die Stichwaffen fallen in die Tiefe. Ennio Morricone wird laut und emotional. Es kommt einem die
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