Selber schuld!: Ein Wegweiser aus seelischen Sackgassen (German Edition)
vergeblich. Eine notwendige E-Mail an den Studiendekan wird in der Therapiestunde gemeinsam verfasst, weil der Antrieb des Patienten zu Hause nicht ausreicht.
Schließlich greift der Psychiater in seiner Verzweiflung ganz tief in die Trickkiste eines Therapeuten und arbeitet mit Konfrontation: Wenn er offensichtlich nicht für Seminararbeiten gebaut sei, dann sei er vielleicht gar nicht zum Diplomingenieur geschaffen? Doch! Und wie! Aber die Seminararbeit schreibe sich trotzdem nicht von selbst. Der Begleitgeschmack der Überwindung vermiest lange Zeit den Studienerfolg des Herrn Friedrich N. Eine langsame Verhaltensänderung kommt erst zustande, als der Patient zu einem neuen Selbstbild findet: »Im Grund bin ich nur stinkfaul!«
ANALYSE: Sehr häufig warten Patienten darauf, dass die gewünschte Verhaltensänderung einfach so passiert, dass sie ohne persönliches Zutun von alleine kommt. Erst das Wahrnehmen des eigenen Handlungsspielraums, oft durch Aufgeben des Selbstbetrugs, macht das erwünschte Verhalten möglich. Verhaltensänderungen sind aber immer schmerzhaft und mühsam.
Für unser Gehirn können wir nichts
Es ist beeindruckend, wie unser Erleben und Verhalten von dem relativ kleinen Organ abhängen, das sich direkt unter unserer Schädeldecke ausbreitet. Dieses Organ Gehirn bestimmt auch so manche psychische Störung – und bestimmt sogar unser Temperament. Es kann auch durch Abbauprozesse wie Demenzerkrankungen funktionsgestört sein, dann verliert der Betreffende langsam die Kontrolle über sein Leben. Für all das können wir nichts, wir haben uns unser Hirn ja nicht selber ausgesucht. Traditionell werden die Ursachen für psychische Störungen, wie bereits in der Einleitung erwähnt, in drei Gruppen gegliedert: Störungen des Hirnstoffwechsels, Traumata und die neurotische Entwicklung. Die beiden Letztgenannten werden als exogene (von außen kommende) Störungen bezeichnet. Die Störungen im Hirnstoffwechsel sind hingegen endogen (von innen kommend): Änderungen in der sogenannten interneuronalen Transmitterkonzentration im synaptischen Spalt können zu weitgreifenden Veränderungen unseres Verhaltens führen. Das heißt übersetzt, dass die Konzentration der Botenstoffe im Gehirn, die die Kommunikation der Gehirnzellen gewährleisten, tatsächlich unsere Persönlichkeit zu verändern vermag. Für viele ist das an und für sich schon eine beängstigende Feststellung; vielleicht weil sie glauben, dass sie damit keine beseelten Wesen mehr seien. Das ist ein Irrtum: Die Seele bedient sich des Gehirns wie der Fahrer des Autos.
Wir müssen unsere körperlichen Grenzen zur Kenntnis nehmen. Dass wir nicht fliegen können, sehen die meisten ein. Aber dass auch unser Geist, unsere Intelligenz und unsere Psyche körperliche Grenzen haben, weil das Gehirn (nur) ein Organ ist – das anzunehmen fällt manchen schwerer. Natürlich nutzt jeder sein Gehirn nur teilweise, so dass man seine Leistung trainieren kann wie einen Muskel. Klar macht man das meist zu wenig und immer zu einseitig. Aber die Grenze ist da. Und die schmerzt. Bei sich selbst und bei den anderen. Insbesondere ist der geistige Abbau eines Angehörigen manchmal schwer zu ertragen.
FALL 18: Eine Patientin erzählt von ihren Großeltern: Die Großmutter sei 67 Jahre alt und noch recht rüstig, der Großvater 90 Jahre mit deutlichen Zeichen einer Alzheimer-Demenz. Die Ehe sei 46 Jahre lang höchst harmonisch und glücklich verlaufen. »Eine Bilderbuchehe«, schwärmt die Enkelin, bei der die Ehefrau stets seine Kompetenz und Eloquenz bewundert und er sie auf Händen getragen habe. Sie seien immer ein Herz und eine Seele gewesen, er sanguinischer Arzt und sie cholerische Hausfrau und Mutter von acht Kindern. Doch jetzt schränkten sich seine geistigen Fähigkeiten durch die Erkrankung immer mehr ein, und das könne seine Frau gar nicht annehmen. Zunehmend würde sie negativ, ihm gegenüber aggressiv und mache ihm Vorwürfe, wenn seine krankhafte Vergesslichkeit an den Tag komme. Wenn sie einkaufen gehe, könne es passieren, dass er sich in der Tageszeit irre und einfach zu Bett gehe. Darauf reagiere sie heftig: »Wie kannst du so grausam sein, dich hinzulegen, wenn ich nur kurz einkaufen gehe?« Sie könne sich plötzlich überhaupt nicht in ihn hineinversetzen. Kaum versuche die Enkelin, die Großmutter zu mehr Verständnis für ihren Mann zu bewegen, reagiere sie beleidigt: »Nichts mache ich recht. Besser, ich wäre nicht
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