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Selber schuld!: Ein Wegweiser aus seelischen Sackgassen (German Edition)

Selber schuld!: Ein Wegweiser aus seelischen Sackgassen (German Edition)

Titel: Selber schuld!: Ein Wegweiser aus seelischen Sackgassen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raphael M. Bonelli
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Archetypen mit einem zweiachsigen Koordinatensystem, das mit einem Fragebogen erfasst wurde. Sein System fand auch den Weg in die Alltagssprache: durch »extravertiert – introvertiert« auf der einen Achse und »stabil – instabil« auf der anderen Achse ließen sich die Persönlichkeitsmerkmale geometrisch darstellen. Der klassische Choleriker zeigt Instabilität und Extraversion, der Melancholiker ist introvertiert und instabil, der Phlegmatiker introvertiert und stabil, der Sanguiniker extravertiert und stabil.
    Danach kam noch eine Weiterentwicklung dieses Schemas in fünf Faktoren, die »Big Five« genannt werden: Neben Extraversion werden hier noch Neurotizismus (ängstlich, reizbar, impulsiv), Offenheit für Erfahrungen (wissbegierig, intellektuell, phantasievoll, experimentierfreudig), Verträglichkeit (gutherzig, bescheiden, vertrauensvoll), und Gewissenhaftigkeit (organisiert, sorgfältig, planend, effektiv, verantwortlich, zuverlässig) abgefragt und abgebildet. 2003 konnte eine Forschergruppe um Thomas Bouchard und Matt McGue Anzeichen für eine 42- bis 57-prozentige Erblichkeit dieser fünf Faktoren feststellen. Die geringste Erblichkeit wiesen Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit auf. Das heißt, dass die Kinder etwa zur Hälfte die gleichen Persönlichkeitseigenschaften aufwiesen wie ihre biologischen Eltern. Diese 20-jährige Forschung gehört zu den meistzitierten Publikationen des letzten Jahrzehnts und wurde deswegen so bekannt, weil sie die Theorie von der ausschließlichen Prägung in der Kindheit widerlegt. Dieser hingen sowohl Sigmund Freud an als auch seine erbittertsten Kritiker, die Behavioristen, die davon ausgehen, dass unser Verhalten durch Konditionierung angelernt sei, etwa wie beim Pawlowschen Hund.
    In jüngerer Zeit hat Robert Cloninger, Preisträger des Judd Marmor Award 2009 der American Psychiatric Association, aus der Sicht des Genetikers und Psychiaters vier »Dimensionen des Temperaments« herausgearbeitet: Harm Avoidance (Schadensvermeidung), Novelty Seeking (Neugierde), Reward Dependence (Abhängigkeit von Belohnung) und Persistence (Beständigkeit). »Harm Avoidance« deckt ein Spektrum von ängstlich und pessimistisch bis zu aufgeschlossen und optimistisch ab und entspricht in etwa dem Neurotizismus in den Big Five. »Novelty Seeking« steht für impulsiv und hitzig bis zu rigid und schwerfällig und ist ein Äquivalent von Eysencks Extraversion. »Reward Dependence« setzt warm und nach Bestätigung suchend in Gegensatz zu kalt und unnahbar. Erst etwas später postulierte Cloninger die vierte Kategorie: »Persistence«, die das Feld zwischen ausdauernd und ambitioniert und leicht entmutigt, unter den Möglichkeiten bleibend spannt.
    Der Fortschritt gegenüber den psychologischen Big Five besteht in der genetischen und neurobiologischen Absicherung, dass das Temperament aufgrund dieser Entdeckungen weitgehend angeboren sein muss. Es konnte nämlich das Dopaminsystem – genauer die Dopamin-D4-Exon-III(D4.7)-Repeat-Region – mit der Achse Novelty Seeking in Verbindung gebracht werden. Diese Entdeckung wurde von zwei Forschungsgruppen unabhängig voneinander gemacht, von Richard Epstein und John Benjamin, und galt als Sensation. Beide Arbeiten wurden zeitgleich im renommierten »Nature Genetics« publiziert. Noch im selben Jahr entdeckte eine weitere Forschungsgruppe um den Deutschen Klaus Peter Lesch den Link zwischen Neuroticism/Harm Avoidance und dem Serotonin-Transmittersystem im Gehirn – einen Serotonin-Transporter(SLC6A4)-Promoter-Region-Polymorphismus (5-HTTLPR). Damit war erstmals die Verbindung zwischen Genetik, Botenstoffen im Gehirn und Persönlichkeitsmerkmalen gelungen – ein Meilenstein in der Geschichte der Persönlichkeitsforschung.
    Die vier klassischen Temperamente
    Manchmal kann man lesen, wie sehr in der Wissenschaft die Temperamentenlehre als überholt gelte. Das ist etwas vereinfacht. Für die Psychotherapie kann diese Aufteilung immens hilfreich sein, weil es sich um gutbekannte alltagspsychologische Archetypen handelt, mit denen man sich und andere – zum Beispiel den Partner – viel besser verstehen lernt und damit Konflikte entschärfen kann. Kompliziert ist eben nicht immer besser. Wenn man in der Therapie dem Patienten etwas näherbringen möchte, ist der Begriff »Melancholiker« definitiv griffiger als »hohe Reward Dependence«. In dieser Kategorisierung liegt keine moralische Beurteilung, was für die Therapie auch relevant

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