Selber schuld!: Ein Wegweiser aus seelischen Sackgassen (German Edition)
eine »Verbitterung« im psychiatrischen Sinn. Es ist – je nach Temperament – recht menschlich, sich gegen erfahrene Ungerechtigkeit emotional aufzulehnen. Nicht jeder, der im Straßenverkehr oder angesichts des Steuerbescheids einen Wutanfall bekommt, gehört schon therapiert. Auch Kohlhaas reagiert am Anfang durchaus gesund. Der Verbitterte verliert allerdings jedes Maß, grollt länger als ein halbes Jahr und vernachlässigt seine anderen Verpflichtungen. Das Buch »Vergeben kann man nicht müssen« von Andreas Malessa und Ulrich Giesekus beginnt mit einem autobiographischen Alltagsfall, der ein gutes Beispiel für ein kurzzeitiges Verbitterungsgefühl darstellt, das schnell durch Reflektieren und Humor selbst therapiert wurde:
FALL 29: Parkplätze in der Innenstadt sind rar. Fahrradwege auch. Beide sind nicht überall markiert. Weit rechts entlang der Straße verläuft eine Fabrikmauer, davor ein gepflasterter Fußweg, zwischen diesem Fußweg und der Fahrbahn gibt es einen etwa zwei Meter breiten Streifen unbefestigten Bodens. Auf dem stehen, diagonal eingeparkt, viele, viele Autos. Ich bin in Eile und schon zweimal suchend im Karree gefahren, da schert ein Wagen aus der Reihe aus dem Seitenstreifen aus, gibt die Lücke frei – ich hab es geschafft! Habe einen Platz ergattert. Aussteigen, vorsichtshalber ein paar Schritte nach rechts und links gehen und nachschauen: nein, kein Verbotsschild, kein Parkschein-Automat weit und breit, nichts! Glück gehabt, denke ich. Schließe den Wagen ab und gehe meinen Besorgungen nach. Als ich wiederkomme, kleben mitten auf der Windschutzscheibe vier, fünf Aufkleber: »Parke nicht auf unseren Wegen!«, steht da. Darunter das Bild eines Fahrrads, stilisiert zu einem zornigen Augenpaar. Mein Puls geht schneller, ich werde rot. Mit dem Daumennagel kratze ich hektisch an jedem Sticker herum – vergeblich. Die Dinger kleben bombensicher. Ich schaue verstohlen umher, ob mich jemand sieht. In meine Wut mischt sich jetzt eine satte Portion Scham und verdichtet sich zu einem brodelnden Gebräu in mir. »Moment«, mahnt mein Verstand, »ganz ruhig. Erst die Fakten.« Na ja, ein diagonal eingeparkter Wagen von fünf Meter Länge ist in der Tat etwas länger, als dieser Sandstreifen breit ist. Das nach rechts eingeschlagene Vorderrad meines Autos berührt die verwitterten Pflastersteine entlang der Mauer. Aber – nützt es jetzt noch was, dies einzugestehen? Das ändert nichts an der Sachlage. Außerdem: soll dieser holprige, grasdurchwachsene Plattenpfad ein Fahrradweg sein? Wo steht das? Auf diesem Gehsteig ärgern die Radfahrer die Fußgänger wahrscheinlich genauso, wie ich die Radfahrer – bzw. den Radfahrer – geärgert habe!
»Euch kenne ich, ihr Brüder«, schießt es mir durch den Kopf. »In knalligen Hirschlederhosen mit spiegelverglasten blauen Sportbrillen rast ihr in geduckter Haltung auf sündhaft teuren Rennrädern angeberisch durch die Stadt. Fünfzig oder sechzig Stundenkilometer schnell. Ihr seid lebensgefährlich für spazierende Rentner oder Mütter mit Kinderwagen! Aber mir gegenüber, dem parknotgebeutelten Autofahrer, wollt ihr das arme Opfer spielen! Und beansprucht eure vermeintlichen Rechte, indem ihr Windschutzscheiben verschandelt: Parke nicht auf unseren Wegen. Pah!« Ich steige ein, will losfahren. Die Aufkleber sind aber so exakt in Augenhöhe platziert, dass ich kaum etwas sehen kann. Mein Wut-und-Scham-Gemisch wird mit Ohnmacht und ängstlicher Sorge angereichert. Der selbsternannte Radwegschützer hat ganz bewusst meine Fahrsicherheit beeinträchtigt, will mich kalkuliert gefährden. Ist es eventuell jemand, der auch Radmuttern lösen oder Bremsen manipulieren würde? »Moment«, versucht mein Kopf den Topf von der Flamme zu nehmen. »Jetzt übertreibst du aber. Ein verärgerter Radfahrer ist kein Killer, okay?«
Meine Wut hält dagegen: »Der Typ – oder war es eine Frau? – muss die Aufkleber ja vorbereitet bei sich haben. Eine Bikerin, die diese Waffen ihrer Streitlust immer mit sich herumträgt wie ich meine Geldbörse oder den Wohnungsschlüssel. Eine permanent aggressive Autohasserin. Allzeit bereit, ihre arrogante Oberlehrerhaftigkeit durch Sachbeschädigung zu beweisen. Und wenn diese verdammten Bepper sich mit heißem Wasser und Spülmittel nicht ablösen lassen? Was kostet so eine Frontscheibe eigentlich? Zahlt das die Versicherung? Nie im Leben.« Die Heimfahrt wird zum Spießrutenlauf. Ich bilde mir ein, an jeder Ampel
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