Selber schuld!: Ein Wegweiser aus seelischen Sackgassen (German Edition)
schon bewegen. Das Buch sei Pflicht, aber seine Frau verstehe das nicht und entlaste ihn nicht ausreichend.
ANALYSE: Ein Mann bringt ein (notwendiges) Opfer für seine Familie, hält aber genau das dieser dann unterbewusst vor, fällt im Laufe der Zeit in die Opferfalle und verbittert. Er kann sich mit seinem Leben nicht zufrieden geben, sondern hängt sich an ein kopflastiges Projekt, das (so) nicht in sein Leben passt. Dieses Buchprojekt zu hinterfragen ist für ihn nicht möglich, da er damit seine (phantasierte?) Identität konstruiert.
Eine Verbitterungsstörung nach der Definition von Linden kann als Folge von außergewöhnlichen, jedoch durchaus lebensüblichen Belastungen entstehen, die persönlich als kränkend oder herabwürdigend erlebt werden. Jeder von uns kennt Beispiele dafür: Kündigung, Partnerschaftsprobleme, zwischenmenschliche Konflikte und Verlusterlebnisse. Ein wesentlicher Unterschied zur oft zitierten posttraumatischen Belastungsstörung liegt in der Alltäglichkeit der auslösenden Belastungssituation; damit wird anerkannt, dass selbst scheinbar banale Situationen ernsthafte Störungen auslösen können. Es gibt Patienten, die verbitterten, weil ihr Arbeitskollege fünfundzwanzig Euro mehr verdient als sie selbst.
Im Fall von Michael Kohlhaas geht es um die beiden Pferde. Wichtig für die Diagnose »Verbitterung« ist erstens, dass der Betroffene das Ereignis für ursächlich für seinen psychischen Zustand hält, sowie zweitens, dass er subjektiv das Ereignis als ungerecht, beleidigend oder als Demütigung erlebt hat. Beides trifft bei Kohlhaas zweifellos zu. Ein drittes Kriterium ist, dass die Reaktion des Patienten auf das Ereignis Gefühle der Verbitterung, Wut und Hilflosigkeit beinhaltet, sowie viertens, dass der Patient mit emotionaler Erregung reagiert, wenn er an das Ereignis erinnert wird. All das passt auch bei Kohlhaas. Ob das Ereignis eine objektive Ungerechtigkeit darstellt, ist für die Verbitterungsdiagnose unerheblich. Wichtig dafür ist allein, dass der Patient subjektiv Ungerechtigkeit empfindet.
FALL 28: Sigrid und Ludwig Z., beide Akademiker und berufstätig, kommen zur Paartherapie. Sie sind seit 19 Jahren verheiratet. Jetzt stehen sie in einer ernsten Ehekrise. Von Scheidung ist bereits die Rede. Frau Z. hat im vergangenen Jahr eine LebensberaterInnen-Ausbildung gemacht. Im Rahmen dieser Ausbildung habe sie sich selbst gefunden, sagt sie. Sie sei ein Leben lang bevormundet worden: zuerst von ihrer Mutter, dann von ihrem Mann. Jetzt werde sie sich einmal selbst etwas Gutes tun. Dadurch sei ihr Mann neidisch auf ihre Entwicklung und habe sich beleidigend geäußert – wörtlich: »Dir haben’s dort ja ins Hirn g’schissn.« Das lasse sie sich nicht mehr gefallen. So nicht!
Herr Z. gibt zu Protokoll, dass er besagtes Zitat tatsächlich getätigt habe und inhaltlich auch dazu stehe. Vor diesem Kurs sei ihre Ehe wirklich ausgezeichnet gewesen. »Ja, aber auf meine Kosten!«, wendet sie lautstark ein und schaut am Mann vorbei den Psychiater grimmig an. Dieser muss jetzt schlichten, sonst entgleitet die Situation. Es darf immer nur mehr einer reden, der andere muss zuhören, und der Psychiater erteilt das Wort. Manchmal muss auch ein Therapeut autoritär sein, besonders in Paargesprächen.
Sie habe sich ein Leben lang aufgeopfert, zuerst nur für ihren Mann, dann auch für die beiden Söhne, aber damit sei jetzt Schluss. Sie habe ihre eigenen Bedürfnisse gar nicht mehr wahrgenommen. Jetzt seien diese einmal an der Reihe.
Der Psychiater fragt vorsichtig, ob ihr die Kinder und die Gründung der Familie denn nicht auch ein Bedürfnis gewesen seien? Sie antwortet aufgebracht, dass jetzt Schluss sei, dass sie immer ihre Bedürfnisse hintangestellt habe. Vorsichtig setzt der Psychiater die Exploration fort. Vermintes Gelände! Der Mann ist zu Hause begeisterter Koch, hilft im Haushalt überdurchschnittlich, nur bügeln mag er nicht. Das kann sie im Grund auch wertschätzen, wenn man ganz vorsichtig nachfragt. Sie hat vor kurzem einen Teil der Wohnung umfunktioniert und neben ihrer Halbtagstätigkeit eine LebensberaterInnen-Praxis aufgemacht. Das unterstützt ihr Mann, fordert aber gemeinsame Zeiten ein. Die aber hat sie nicht mehr. Konflikte gibt es auch mit beiden Schwiegereltern, wobei sich beide mehr der Herkunftsfamilie verpflichtet fühlen. Beide Ehepartner fühlen sich vom anderen unverstanden. Gefühle kann der Mann wenig ausdrücken: Das moniert sie, und er gibt es
Weitere Kostenlose Bücher