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Selber schuld!: Ein Wegweiser aus seelischen Sackgassen (German Edition)

Selber schuld!: Ein Wegweiser aus seelischen Sackgassen (German Edition)

Titel: Selber schuld!: Ein Wegweiser aus seelischen Sackgassen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raphael M. Bonelli
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würden sich alle entgegenkommenden Fahrer kaputtlachen, warum jemand mit fünf Zetteln vor der Nase Auto fährt. In mein Wut-Scham-Ohnmacht-Angst-Gemisch wird jetzt noch eine Prise Demütigung gestreut. Gleich werde ich vor allen Fensterfronten unserer Nachbarn ankommen und hoffentlich von niemandem begrüßt werden …
»Jetzt mal halblang«, schüttelt mein innerer Kopf den äußeren, »du aufgeregtes kleines Hähnchen! Plusterst dich hier auf und krähst! Ein Freund deiner Tochter wurde von türkischen Jugendlichen grundlos zusammengeschlagen und lag mit gebrochenem Nasenbein im Krankenhaus. Eine Kollegin von dir wurde von ihrer früheren Redaktion dermaßen gemobbt, dass sie sich während der Arbeitszeit heulend im Klo einschloss. Es werden Frauen vergewaltigt, es werden Kinder sexuell missbraucht und ermordet. Und du jammerst wegen fünf Aufklebern!« Ich beginne mich über meinen Ärger zu ärgern.
    Was macht Andreas Malessa so viel besser als Michael Kohlhaas? Er wahrt die Verhältnismäßigkeit, relativiert die wütenden Bauchgefühle mit Hilfe der Vernunft und pocht nicht auf absolute Gerechtigkeit. Dieses Beispiel zeigt anschaulich, wie sich Malessa zuerst – und verständlicherweise – ungerecht behandelt fühlt und mit Wut reagiert, gemischt mit Scham. Dann schaltet er die Vernunft ein und kann klären, dass er selbst auch Unrecht getan hat, indem er einen Fahrradweg zuparkte. Das lindert die Wut. Der eigene Anteil am Konflikt hilft, erlittenes Unrecht besser zu ertragen. Dann kocht neuerlich das wütende Bauchgefühl auf, das den anderen, den Feind, den unbekannten Täter, verspottet und entwertet. Die Wut entgleist in ihrer Phantasie und wird von der Vernunft ein zweites Mal zurückgepfiffen. Doch gleich wieder schäumt die Wut angesichts der objektiven Manövrierprobleme über und wird mit Humor (»Du aufgeregtes kleines Hähnchen! Plusterst dich hier auf und krähst!«) und der Relativierung des Schadens von der Vernunft ein drittes Mal auf den Boden geholt. Wegen fünf Pickerln auf der Windschutzscheibe entwickelt niemand eine posttraumatische Verbitterungsstörung, und selbst ein Michael Kohlhaas hätte deshalb nicht gleich Leipzig abgefackelt. Aber nicht jeder bekommt seine Bauchgefühle mit solcher Souveränität wieder in den Griff wie Malessa in diesem Text! Der Mann ist jedenfalls psychisch gesund. Und: Er dürfte kein reinrassiger Phlegmatiker sein.
    Lassen wir uns auf das Gedankenexperiment ein, wie Michael Kohlhaas reagiert hätte, wenn sein Mercedes mit fünf »Parke nicht auf unseren Wegen«-Pickerln zugeklebt gewesen wäre. Nun, er wäre nicht nach Hause gefahren und hätte sie mit scharfem Putzmittel aufgelöst – so geht nämlich die Geschichte von Andreas Malessa zu Ende. Er hätte vermutlich Anzeige erstattet, die Polizei zur Abnahme von Fingerabdrücken bewegt, hätte in der Gasse sämtliche Anrainer nach Augenzeugen gefragt. Er hätte alle wichtigen Termine an diesem Nachmittag – inklusive den eigenen Hochzeitstag – vergessen, um sich der Causa zu widmen. Irgendwann wäre er zu der Überzeugung gelangt, dass die Polizei zu wenig Interesse an der Aufklärung des Kriminalfalls habe. Obwohl das doch kein Einzelfall sei! Er wäre zu einer großen Boulevardzeitung gegangen, hätte sein Unglück mit den Radfahr-Rowdies bekanntgegeben und aufgedeckt, dass die Polizei mit denen unter einer Decke steckt. Er hätte eine Bürgerwehr »Autofahrer gegen Rad-Terroristen« gegründet und die Firma ausgeforscht, die die rechtswidrigen Kleber »Parke nicht auf unseren Wegen« herstellt. Die hätte er verklagt. Das Thema hätte ihn Tag und Nacht beschäftigt und damit seine Partnerschaft massiv belastet. Michael K. wäre an keinem Radfahrer mehr vorbeigegangen, ohne diesen wüst zu beschimpfen. Herr Kohlhaas wäre nach vier Wochen, in denen er nur mehr sporadisch in der Firma war, gekündigt worden, denn sein Opferstatus wäre von der völlig unverständigen Chefetage nicht anerkannt worden. Doch das wäre nur Wasser auf Kohlhaas’ Mühlen: Gegen die Kündigung wäre er vor das Arbeitsgericht gezogen und natürlich wiederum zu den Medien. Als Arbeitsloser hat Michael jetzt Zeit, einen eigenen Blog einzurichten und einen Twitter-Kanal. Herr Kohlhaas würde immer bekannter, aber nicht unbedingt positiv. Er fände keine Arbeit mehr. Seine Kinder würden in der Schule wegen seines Engagements verspottet – was wiederum den Vater auf den Plan ruft. Und so weiter …
    Die

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