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Selber schuld!: Ein Wegweiser aus seelischen Sackgassen (German Edition)

Selber schuld!: Ein Wegweiser aus seelischen Sackgassen (German Edition)

Titel: Selber schuld!: Ein Wegweiser aus seelischen Sackgassen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raphael M. Bonelli
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komplexe und auf den ersten Blick unlösbare Lebensprobleme vorgegeben und die Patienten angeleitet, dieses Problem aus verschiedenen Perspektiven zu kommentieren und dabei Fähigkeiten des Perspektivenwechsels oder der Wertrelativierung einzuüben. Ein klassisches Beispiel, das den Patienten vorgelegt wird: Ein Mann lässt seine Frau nach 25 Ehejahren mit einem Berg Schulden sitzen, weil er sich in seine 28-jährige Sekretärin verliebt und seine Frau sich zunehmend in die Esoterik verloren hat. Zunächst scheint der Fall – ebenso wie die Verbitterung der Ehefrau – klar. Sobald man aber die Geschichte aus der Perspektive des Mannes, der Geliebten, ihrer Mutter, des Dorfpfarrers oder der lebenserfahrenen Großmutter erzählen soll, wird es bunt und vielschichtig. Damit erlernen die Patienten die Flexibilität im Perspektivenwechsel, die sie später auch auf ihren eigenen Fall anwenden können.
    Es geht bei der Weisheitstherapie nicht um eine Lebensberatung und Unterstützung bei der Bewältigung eines Lebenskonflikts. Es geht um die Besserung der Psychopathologie. Nicht das objektive Problem des Patienten ist zu lösen, sondern seine Unfähigkeit, sein Problem zu lösen oder einfach damit zu leben. Dies geschieht eben nicht durch die Erarbeitung von Konfliktlösungen, sondern durch die Förderung psychologischer Funktionen, die erforderlich sind, um eine Konfliktlösung erreichen zu können. Die Weisheitstherapie vermeidet daher weitgehend, direkt am Thema des Konflikts zu arbeiten. Stattdessen werden Weisheitsstrategien an Modellproblemen eingeübt. Bezüglich der Therapie gilt, dass die Funktion und nicht der Inhalt das Therapieziel ist, was auch grundsätzlich als Unterschied zwischen Therapie und Beratung gelten kann.
    Bei vielen Verbitterten kann man feststellen, dass an die Stelle der enttäuschten Grundannahme (»Ich bin in der Firma unabkömmlich«) eine neue Grundannahme getreten ist, nämlich die, das Opfers einer schwerwiegenden Ungerechtigkeit zu sein, weswegen man jetzt also leiden müsse.
    Vergebung als psychotherapeutischer Prozess
    In »Asterix auf Korsika« wird ein humorvolles Bild einer Gesellschaft gezeichnet, bei der Familien mit ihren Nachbarn über Generationen unversöhnt sind, obwohl schon niemand mehr weiß, worum es im Streit ursprünglich ging. In der Tat erleben viele Patienten ihre Unversöhnlichkeit – das heißt die Unfähigkeit zur Versöhnung – als beengend und belastend. Mehr und mehr ist in der psychotherapeutischen Forschung der letzten Jahre deswegen das Augenmerk auf diese Problematik gelenkt worden. Für das von der angloamerikanischen Wissenschaft verwendete Wort »Forgiveness« ist allerdings keine deutsche Übersetzung wirklich brauchbar. Normalerweise wird es mit »Vergebung« übersetzt, aber tatsächlich geht es mehr um Vergebungsbereitschaft oder Versöhnungsbereitschaft, um den Willen oder die Fähigkeit zur Vergebung. Es geht um eine kognitive Fähigkeit des Menschen als Ressource, um die allgemeine Eigenschaft, prinzipiell Unrecht vergeben zu können. Das deutsche Wort »Vergebung« würde eher eine konkrete Beziehung zwischen zwei Menschen beschreiben, die nach einem Unrecht interagieren: das greift zu kurz.
    Die Fähigkeit zur Vergebung hat sicherlich auch mit dem Temperament zu tun (so tut sich ein Sanguiniker damit leichter als ein Melancholiker, siehe Kapitel 4). In erster Linie ist die Vergebungsbereitschaft aber eine innere Haltung, die sich der Mensch im Rahmen seiner Charakterformung genau deswegen angeeignet hat, weil er Vergeben im zwischenmenschlichen Miteinander für wertvoll erachtet (siehe Kapitel 5). Weil er es als Wert erkennt, wird er die Haltung immer wieder einüben, bis er sie verinnerlicht hat. Hier setzt die Psychotherapie an. Die Vergebungsforschung belegt, dass Vergeben Stress reduziert und damit sowohl Körper als auch Psyche guttut. Der Prozess des Verzeihens wirkt sich laut empirischer Studien positiv auf den Organismus aus, was etwa am Blutdruck, an der Muskelspannung und am seelischen Wohlbefinden abgelesen werden kann.
    Bisher wurde der Aspekt der Vergebung in Europa kaum wissenschaftlich behandelt, vermutlich aus der Angst heraus, dass der Begriff an sich bereits Religion impliziert. Forgiveness ist jedoch in erster Linie ein psychischer Akt und nicht schon ein religiöses Phänomen. Verzeihung als optimale Form des Loslassens von erlittenem Unrecht beschreibt einen Prozess, der im Wesentlichen drei Schritte bzw. Ebenen

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