Selber schuld!: Ein Wegweiser aus seelischen Sackgassen (German Edition)
beinhaltet die Willentlichkeit und das Gewissen, geht aber über diese beiden weit hinaus. Es ist das wichtigste Organ im Umgang mit Gefühlen und die eigentliche Problemzone unseres armen k. u. k. Offiziers, der mit seiner Harmlosigkeit so viel Schaden angerichtet hat. Das Herz vergleicht die Richtung, in die der Bauch zieht (»mich von Fräulein Kekesfalva anhimmeln lassen«: kurzfristige Befriedigung) mit dem Weitblick, den die Vernunft bietet, wenn sie darf (»Ich schade dieser Frau und mir selbst«: langfristiges Unglück). Das Herz gibt beim Handeln die Marschroute an (»nichts wie weg hier, auch wenn es kurz weh tut«). Das Herz ist der Ort der persönlichen Entscheidung, der großherzigen Selbstlosigkeit und des kleinherzigen Egoismus – und damit eben auch der Schuld. Im Idealfall arbeitet es eng mit dem Kopf zusammen; problematisch wird es, wenn der Bauch das Herz vor sich her treibt. Das Herz kann erstens stark oder schwach sein und dementsprechend die Macht des Bauches mehr oder weniger gut regulieren. Und es kann sich zweitens auch für das Gute oder das Böse entscheiden und den Kopf entsprechend instruieren. Voluntaristen – »Willensmenschen« – geben dem Kopf zu viele inhaltliche Vorgaben und lassen damit keinen Freiraum für eine wirkliche Prüfung: das Ergebnis steht schon vor der Untersuchung fest. Für sie heiligt der Zweck die Mittel.
Das Herz ist ein Ort der Freiheit – denn wenn der Mensch irgendwo frei ist, dann im Herzen. Nur das Herz kann sich gegen die Marschrichtung des Bauches entscheiden, der Kopf allein ist dazu nicht imstande. Aber das Herz ist auch der Ort des Selbstbetrugs: Es kann dem Kopf Stillschweigen verordnen und auch die Uminterpretation offensichtlicher Tatsachen. So erklärt sich das Phänomen, dass vielfach jeder Außenstehende den Selbstbetrug eines Menschen durchschaut, außer der Betroffene selbst. Leutnant Hofmiller wird schuldig, weil er durch sein schwaches Herz den schmeichelnden Bauchgefühlen folgt.
Alle drei Organe sind gut und wichtig. Idealerweise harmonieren sie miteinander: Jedes übernimmt seine Aufgabe und arbeitet den anderen beiden Organen zu. Jede Organschwäche schwächt die Lebensqualität des Menschen. Bauchschwäche macht unmenschlich, Kopfschwäche unvernünftig und Herzschwäche ziellos. Das Objekt des Bauches ist das Schöne, das Objekt des Kopfes das Wahre und das Objekt des Herzens das Gute. Mit dem Bauch befinden wir über Schön oder Hässlich, mit dem Kopf über Wahr oder Falsch und mit dem Herz über Gut oder Böse. Das Herz hat hier die Schlüsselposition: Über Wahr und Falsch kann der Kopf nur richtig urteilen, wenn das Herz will, wenn es selbstlos an der Wahrheit interessiert ist, wenn es erlaubt, dass der Kopf vorbehaltlos und ohne Vorgaben einen Sachverhalt prüft. Wenn das Herz zum Beispiel keine Schuld sehen will, wird der Kopf unterwürfig eine Rechtfertigung konstruieren, und die Schuld wird ins Unterbewusste verdrängt.
Das mechanische Modell: der psychische Apparat
Das herkömmliche Modell Freuds ist dem oben vorgestellten organischen Konzept ähnlich, aber es unterscheidet sich auch in einigen wesentlichen Punkten. Laut Sigmund Freud wird das Ich des Menschen (Bewusstsein) nämlich vom Über-Ich (Vorschriften, Erziehung durch die Eltern) und vom Es (Triebe, Gefühle) in die Zange genommen und richtiggehend gesteuert. Seine Handlungen werden letztlich vom Unbewussten determiniert, ohne dass der Betroffene dies rational erfasst und reflektiert. Der Mensch ist nach diesem Modell unfrei. In diesem Zusammenhang springt bei Freud besonders das mechanistische Konstrukt der Psyche ins Auge: Als Kind seiner Zeit, des 19. Jahrhunderts, war er grenzenlos begeistert von physikalischen Vorgängen. Alles, was physikalisch war, war bei ihm auch deswegen schon wissenschaftlich. Und was Wissenschaft war, das war gut. Was nicht zählbar, messbar und wägbar war, gab es einfach nicht. So einfach ist das. Nach diesem Verständnis können Theologie und Philosophie gar keine Wissenschaften sein. Und auch die Liebe gab es nicht. Deshalb konstruiert Freud den »psychischen Apparat« (so der Freudsche Originalbegriff für die bunte Welt der Psyche!), in dem verdrängt, sublimiert, gespalten, verschoben, projiziert, isoliert und fixiert wird – alles Begriffe aus der Physik. Diese gebastelte Maschine funktioniert einwandfrei und reagiert nach unabänderlichen physikalischen Gesetzen auf Außenreize. Deshalb meinen orthodoxe
Weitere Kostenlose Bücher