Selbs Betrug
holte er mich ins Besuchszimmer.
»Brigitte!«
Sie weinte und konnte nicht reden. Der Beamte ließ zu, daß wir uns in die Arme nahmen. Als er sich rührte und räusperte, setzten wir uns am Tisch einander gegenüber.
»Woher weißt du, daß ich hier bin?«
»Gestern abend hat Nägelsbach angerufen. Und heute morgen hat sich ein anderer Freund von dir bei mir gemeldet, ein Journalist Peschkalek. Er hat mich übrigens hierhergebracht und will auch noch mit dir reden.« Sie sah mich an. »Warum hast du nicht angerufen? Wolltest du vor mir verbergen, daß du im Gefängnis bist?« Sie hatte von Nägelsbach gehört, meine Lage sei ernst, und sich sofort daran gemacht, mir einen guten Anwalt zu besorgen. Weil Kranke am liebsten vom Professor behandelt werden, wollte sie, daß ich auch von einem Professor vertreten werde, und hatte die Heidelberger Rechtsprofessoren angerufen. »Die einen sagten, sie verstünden nichts davon, das klang, wie wenn Internisten nicht operieren wollen, die anderen schienen was davon zu verstehen, aber kamen mit meinem Bericht nicht klar, und dann gab’s noch die, die sich nicht in ein schwebendes Verfahren einmischen wollten. Ist das so? Dürfen Verteidiger sich nicht in schwebende Verfahren einmischen? Ich dachte, dafür sind sie da.«
»Hast du einen gefunden?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Macht nichts, Brigitte. Vielleicht brauche ich keinen. Wenn doch, weiß ich schon den einen oder anderen. Was hat Manu dazu gesagt, daß ich im Gefängnis bin?«
»Er findet’s toll. Er hält zu dir. Wir beide halten zu dir.«
Dessen versicherte mich auch Peschkalek. Besorgt zwirbelte er seinen Schnurrbart und fragte nach meinen Wünschen. »Heute abend vielleicht ein Menü aus dem ›Ritter‹? Es sind nur ein paar Schritte.« Eine Stange Sweet Afton hatte er mitgebracht.
»Wie haben Sie von meiner Verhaftung erfahren? Steht was in der Zeitung?« Sollte ich rasch wieder rauskommen, durfte Frau Büchler nicht zwischenzeitlich an mir irre werden.
»Als ich Sie nicht zu Hause erreicht habe, hab ich’s bei Ihrer Freundin versucht, und die hat von Ihnen erzählt. Nein, in der Zeitung steht noch nichts. Ich rechne Mitte nächster Woche mit den Berichten in der regionalen und überregionalen Presse. Aber richtig kommt der Rummel erst beim Prozeß in Fahrt. Der ehemalige Staatsanwalt im Kreuzverhör – Sie werden der Star des Prozesses. Und dann drehen Sie den Spieß um, werden vom Angeklagten zum Ankläger, bohren nach dem genauen Ort des Anschlags, dem Schaden und den Folgen und lassen schließlich die Bombe platzen: Der Anschlag war im Lampertheimer Forst, galt einem Giftgaslager und soll vertuscht werden, weil schon das Giftgas vertuscht wird. Was für eine letzte Rolle! Eigentlich beneide ich Sie.« Er strahlte, begeistert von dem Szenario, das er entworfen hatte, und von meiner Rolle darin. »Dann haben wir noch den touch of romance , ich weiß nicht, ob er den Richter interessiert, aber der Leser wird ihn lieben. Tickende Bomben und schlagende Herzen, der alte Mann und das Mädchen – das ist der Stoff, aus dem man Storys macht. Der alte Mann und das Mädchen«, er schmeckte den Worten nach, »wär das ein Titel? Wenn nicht für die ganze Story, zumindest für eine Folge?«
»Sie ziehen mir das Fell ab, beizen mich, braten mich, tranchieren und portionieren mich – ich lebe noch, Peschkalek, und für mich alten Hirsch ist jetzt Schonzeit, nicht Schußzeit.«
Er wurde rot, zauste seinen Schnurrbart, klatschte auf seine Glatze und lachte. »O weh! Die Geier von der Presse, die Hyänen – bestätige ich alle Vorurteile über Reporter? Manchmal erschrecke ich selbst, wenn ich nichts sehen und hören kann, ohne zu prüfen, ob’s zu einer Story taugt. Die Wirklichkeit ist erst wirklich, wenn sie im Kasten ist«, er schlug sich mit der Hand an die Hüfte, an der sonst die Kamera hing, »oder sogar erst, wenn die Reportage gedruckt oder gesendet ist. Ich hab’s Ihnen schon mal gesagt. Wer kümmert sich schon um das, was in keiner Zeitung steht und nicht im Fernsehen kommt? Und worum sich niemand kümmert, das wirkt nicht, und nur was wirkt, ist wirklich. So einfach ist das.«
Ich ließ Peschkalek seine mediengenügsame Vorstellung von Wirklichkeit. Ich trug ihm auch nicht nach, daß er in meiner Geschichte nur seine Story gesehen hatte. Er bat mich für seine déformation professionelle um Verständnis, fragte besorgt nach meinem Befinden und sah mich wieder wie ein freundlicher Seelöwe an.
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