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Selbs Betrug

Selbs Betrug

Titel: Selbs Betrug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schlink
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Fragen von Raum und Zeit. Auch Sie, Herr Selb, haben wichtigere Probleme. Sie haben recht, wir haben jemanden festgenommen. Er hat den Anschlag in Käfertal gestanden und wird ihn auch vor Gericht gestehen. Außerdem werden wir vor Gericht die Aussagen unserer deutschen Beamten und der amerikanischen Freunde haben. Lassen wir die fruchtlosen Präliminarien und kommen zu Ihnen und zu Frau Salger.«
    »Können Sie den Brief bringen lassen, der heute morgen für mich abgegeben wurde?« Ich hatte den Beamten, der mich zur Vernehmung gebracht hatte, nach dem Umschlag gefragt, um den ich Brigitte gebeten hatte. Er war angekommen, sollte mir aber erst nach richterlicher Kontrolle am Montag ausgehändigt werden. »Wenn nur Sie ihn aufmachen und anschauen, geht’s auch ohne Richter.«
    Nach einigem Hin und Her ließ Franz den Umschlag bringen, öffnete ihn und hielt eine Kopie der amerikanischen Akte in den Händen.
    »Lesen Sie!«
    Er las, und sein Mund wurde schmal. Die gelesenen Seiten gab er eine um die andere an Rawitz weiter, von dem sie über Bleckmeier an Nägelsbach gingen. Für zehn Minuten war es ganz still im Raum. Durch das kleine Fenster sah ich ein kleines Stück Heidelberger Schloß. Ab und zu fuhr ein Auto den oberen Faulen Pelz entlang. In der Ferne übte jemand Klavier. Alle schwiegen, bis Nägelsbach die letzte Seite gelesen hatte.
    »Wir müssen das Original kriegen. Machen wir eine Hausdurchsuchung!«
    »Er hat das Original schwerlich zu Hause rumliegen.«
    »Vielleicht doch – einen Versuch ist es jedenfalls wert.«
    »Warum reden wir nicht mit den Amerikanern?«
    Als Nägelsbach zu reden begann, sah er mich mit traurigen Augen an. »Mir gefällt die ganze Sache auch nicht. Aber ein Anschlag bei Viernheim, bei dem Giftgas freigesetzt wurde, Giftgas der Amerikaner oder auch aus alten deutschen Beständen – das ist einfach nicht drin.«
    »Wurde denn Giftgas freigesetzt?«
    »Unsere amerikanischen Freunde«, setzte Bleckmeier an, um unter Rawitz’ Blick sogleich wieder zu verstummen. Ich fragte noch mal.
    »Auch wenn keines freigesetzt wurde – wenn sich der Prozeß darum dreht und die Presse sich damit beschäftigt, ist der Teufel los. Auch wenn man eine Panik vermeiden kann, ist Viernheim eine gebrandmarkte Stadt. Mit Viernheim werden die Leute genausowenig zu tun haben wollen wie mit Tschernobyl. Dieses Schadens- und Bedrohungspotentials sollen sich die Terroristen nicht rühmen können. Und die Bevölkerung hat es nicht verdient, von den Terroristen derart in Furcht versetzt zu werden.«
    »Damit wollen Sie rechtfertigen, daß …«
    »Nein«, unterbrach Franz, »umgekehrt wird ein Schuh daraus. Daß der Prozeß so nicht laufen kann, kann doch wohl nicht rechtfertigen, daß die Täter davonkommen. Es gibt nun einmal diese doppelte Verantwortung zum einen für die Leute in der Region, besonders in Viernheim, und zum anderen für die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs. Und damit ist die Verantwortung noch nicht zu Ende; wir haben auf die Amerikaner Rücksicht zu nehmen, auf das deutsch-amerikanische Verhältnis und darauf, daß das Problem der Weltkriegsaltlasten einer geordneten, umfassenden Lösung bedarf. Wenn es in Viernheim Eis gibt, dann haben wir’s mit der Spitze eines Eisbergs zu tun und müssen klotzen, nicht kleckern. Sie wissen genausogut wie ich …«
    Ich hörte nicht mehr zu. Ich war des Redens müde, hatte die großen Worte von der doppelten, drei-, vier- und fünffachen Verantwortung satt und das Schachern um meinen Kopf. Plötzlich war’s mir nicht mehr um die Drohung zu tun, den Käfertal-Prozeß platzen zu lassen, und nicht mehr darum, daß man mich laufenließ, um den Prozeß zu retten. Ich wollte in meine Zelle, auf meine Pritsche und mich um nichts und niemanden kümmern.
    Franz sah mich an. Er wartete auf eine Antwort. Was hatte er gefragt? Nägelsbach half. »Herr Dr. Franz meint mit dem gegenseitigen Entgegenkommen einerseits Ihre Rolle im gerichtlichen Verfahren und andererseits die Straf-, aber auch die Schuldfrage.« Sie sahen mich voller Erwartung an.
    Ich mochte die Rolle nicht, die sie mir zugedacht hatten. Ich sagte es ihnen. Sie ließen den Beamten kommen und mich zurück in die Zelle bringen.

21
Ein bißchen gestottert
    Am späten Nachmittag war ich frei. Es hatte keine weitere Vernehmung gegeben und keine richterliche Anhörung. Der Kalfaktor hatte mir ein Tablett mit Blumenkohlsuppe, Kasseler Rippenspeer, Leipziger Allerlei, Kartoffeln und

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