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Selbs Justiz

Selbs Justiz

Titel: Selbs Justiz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schlink
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noch den Arm in der Schlinge trug. Ich prostete den Herren zu und machte mich auf den Weg zum Büfett. Mit den Hammellendchen in der Kräuterkruste auf dem vorgewärmten Teller steuerte ich Firners Tisch an, als Schmalz auf mich zutrat.
    »Dürften meine Frau und ich Herrn Doktor einmal einladen, Kaffee trinken?« Anscheinend hatte Schmalz meinen Doktortitel ausfindig gemacht und gerne aufgegriffen, um einen weiteren Zischlaut zu neutralisieren.
    »Das ist überaus liebenswürdig, Herr Schmalz«, bedankte ich mich. »Aber verstehen Sie bitte, daß ich bis zum Abschluß dieses Falls über meine Zeit nicht disponieren kann.«
    »Na, dann ein andermal vielleicht.« Schmalz wirkte unglücklich, aber daß der Betrieb vorging, verstand er.
    Ich sah mich nach Firner um und fand ihn, als er gerade mit einem Teller vom Büfett zu seinem Tisch steuerte.
    Er blieb kurz stehen. »Grüß Sie, haben Sie etwas rausgekriegt?« Er hielt seinen Teller linkisch in Brusthöhe, um einen Rotweinfleck auf dem Smokinghemd zu verdecken.
    »Ja«, sagte ich einfach. »Und Sie?«
    »Wie darf ich das verstehen, Herr Selb?«
    »Stellen Sie sich vor, da ist ein Erpresser, der zunächst durch Manipulationen im MBI -System und dann durch die Verursachung einer Gasexplosion seine Überlegenheit demonstrieren will. Dann fordert er zehn Millionen von den RCW . Wer im Unternehmen würde die Forderung als erster auf den Schreibtisch kriegen?«
    »Korten. Weil nur er über einen solchen Betrag entscheiden könnte.« Er runzelte die Stirn und blickte unwillkürlich zu dem leicht erhöhten Tisch, an dem Korten mit dem chinesischen Delegationsleiter, dem Ministerpräsidenten und anderen wichtigen Persönlichkeiten saß. Ich wartete vergeblich auf ein abwiegelndes »Aber Herr Selb, wo denken Sie hin.« Er ließ den Teller sinken. Der Rotweinfleck tat ein übriges, um hinter der Fassade gelassener Souveränität einen angespannten und verunsicherten Firner sichtbar werden zu lassen. Als wäre ich nicht mehr da, machte er gedankenverloren einige Schritte auf das geöffnete Fenster zu. Dann riß er sich zusammen, präsentierte den Teller vor der Brust, nickte mir kurz zu und ging entschlossenen Schritts zu seinem Tisch. Ich ging aufs Klo.
    »Na, mein lieber Selb, geht’s voran?« Korten stellte sich ans andere Becken und fingerte am Hosenschlitz.
    »Meinst du den Fall oder die Prostata?« Er pinkelte und lachte. Lachte immer lauter, mußte sich mit der Hand an den Kacheln stützen, und dann fiel’s auch mir wieder ein. Wir hatten schon einmal so nebeneinander gestanden, im Pissoir vom Friedrich-Wilhelm-Gymnasium. Es war als vorbereitende Maßnahme fürs Schwänzen geplant gewesen; der Bechtel sollte, wenn der Lehrer unser Fehlen bemerkt, aufstehen und sagen: »Dem Korten und dem Selb war vorhin schlecht, und sie sind auf dem Abort - ich gehe rasch nach ihnen sehen.« Aber der Lehrer sah selbst nach uns, fand uns fröhlich stehen und ließ uns zur Strafe die Stunde weiter da stehen, ab und zu kontrolliert vom Pedell.
    »Gleich kommt Professor Brecher mit dem Monokel«, prustete Korten. »Der Kotzer, gleich kommt der Kotzer« - mir fiel der Spitzname ein, und wir standen mit offenen Hosen, schlugen uns auf die Schultern, und mir kamen die Tränen und tat der Bauch weh vor Lachen.
    Damals wär’s beinahe böse weitergegangen. Brecher hatte uns dem Rektor gemeldet, und ich sah schon Vater wüten und Mutter weinen und die Freistelle flötengehen. Aber Korten hatte alles auf sich genommen: Er hatte angestiftet, ich bloß mitgemacht. So bekam er den Brief nach Hause, und sein Vater lachte nur.
    »Ich muß mal wieder.« Korten knöpfte den Hosenladen zu.
    »Schon wieder?« Ich lachte noch. Aber der Spaß war vorbei, und die Chinesen warteten.

10
Erinnerungen an die blaue Adria
    Als ich wieder in den Saal kam, war alles im Aufbruch. Im Vorbeikommen fragte Frau Buchendorff, wie ich nach Hause käme, ich könne doch wohl nicht fahren mit meinem Arm.
    »Vorhin bin ich mit dem Taxi gekommen.«
    »Ich nehme Sie gerne mit, wo wir doch Nachbarn sind. In einer Viertelstunde am Ausgang?«
    Die Tische waren verlassen, Stehgrüppchen bildeten und lösten sich. Die Rothaarige stand noch mit einer Flasche bereit, aber alle hatten schon genug getrunken.
    »Hallo«, sagte ich zu ihr.
    »Hat es Ihnen gefallen auf dem Empfang?«
    »Das Büfett war gut. Ich bin erstaunt, daß noch was übrig ist. Aber wo nun noch was übrig ist – können Sie mir für mein Picknick morgen ein kleines

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