Selbs Justiz
überreichte.
»Da ist ein Kuchen drin, als Überraschung für Sie. Den hat die Frau Schmalz gebacken.«
Ich ließ mich vom Taxi zum Herschelbad bringen, In der Sauna war Frauentag. Ich ließ mich zum ›Kleinen Rosengarten‹ fahren, meinem Stammlokal, und aß Saltimbocca Romana. Dann ging ich ins Kino.
Die erste Kinovorstellung am frühen Nachmittag hat ihren Charme, gleichgültig, was gezeigt wird. Das Publikum besteht aus Pennern, Dreizehnjährigen und frustrierten Intellektuellen. Früher, als es sie noch gab, waren in den Frühvorstellungen die Fahrschüler. Frühreife Schüler gingen früher auch zum Schmusen in die Frühvorstellung. Aber Babs, eine befreundete Realschuldirektorin, versichert mir, daß die Schüler in der Schule schmusen und um eins schon ausgeschmust haben.
Ich war in das falsche der sieben Kästchen geraten, aus denen das Kino bestand, und mußte mir ›On Golden Pond‹ ansehen. Ich mochte alle Hauptdarsteller sehr gerne, aber am Ende war ich froh, daß ich keine Frau mehr hatte, keine Tochter und auch keinen kleinen Bastard von Enkel.
Auf dem Heimweg ging ich am Büro vorbei. Ich fand die Nachricht, daß Schneider sich erhängt hatte. Frau Buchendorff hatte sie mit äußerster Sachlichkeit auf den Anrufbeantworter gesprochen und um sofortigen Rückruf gebeten.
Ich schenkte mir einen Sambuca ein.
»Hat Schneider eine Nachricht hinterlassen?«
»Ja. Wir haben sie hier. Wir denken, daß Ihr Fall abgeschlossen ist. Firner würde Sie gerne sehen, um mit Ihnen darüber zu sprechen.«
Ich sagte Frau Buchendorff, daß ich sofort käme, und rief ein Taxi.
Firner war aufgeräumt. »Grüß Sie, Herr Selb. Scheußliche Sache, das. Er hat sich im Labor aufgehängt, an einem Elektrokabel. Eine Auszubildende mußte ihn finden. Wir haben natürlich alles versucht, ihn zu reanimieren. Umsonst. Lesen Sie den Abschiedsbrief durch, wir haben unseren Mann.«
Er übergab mir die Fotokopie eines hastig beschriebenen, anscheinend an die Frau gerichteten Blatts.
»Mein Dorle – verzeih. Denk nicht, daß Du mich nicht genug geliebt hast – ohne Deine Liebe hätte ich es schon früher getan. Jetzt kann ich nicht mehr. Sie wissen alles und lassen mir keinen anderen Weg. Ich wollte Dich glücklich machen und Dir alles geben – schenke Gott Dir ein leichteres Leben als in diesen entsetzlichen letzten Jahren. Du verdienst es so sehr. Ich küsse Dich – bis in den Tod Dein Franz.«
»Sie haben Ihren Mann? Das läßt doch alles offen. Ich habe mit Schneider heute früh gesprochen. Es ist das Spiel, das ihn im Griff hatte und in den Tod getrieben hat.«
»Sie sind ein Defätist.« Firner lachte mir mit offenem Mund schallend ins Gesicht.
»Wenn Korten meint, der Fall sei gelöst, kann er ihn mir natürlich jederzeit entziehen. Ich glaube aber, daß Ihre Schlüsse voreilig sind. Und auch nicht ganz ernst gemeint. Oder haben Sie schon Ihre Fangschaltung abgestellt?«
Firner war nicht beeindruckt. »Routine, Herr Selb, Routine. Natürlich lassen wir die Schaltung weiterlaufen. Aber zunächst ist die Sache erledigt. Wir müssen nur noch einige Einzelheiten abklären, vor allem, wie Schneider seine Manipulationen realisieren konnte.«
»Ich bin sicher, daß Sie mich bald wieder anrufen.«
»Wir werden sehen, Herr Selb«, Firner steckte doch tatsächlich den Daumen in die Weste seines dreiteiligen Anzugs und spielte mit den restlichen Fingern den ›Yankeedoodle‹.
Auf dem Heimweg im Taxi dachte ich an Schneider. War ich schuld an seinem Tod? Oder war Eberhard schuld, der zuviel Bordeaux mitgebracht hatte, so daß ich heute verkatert und schroff mit Schneider umgegangen war? Oder der Küchenchef mit seiner Forster Bischofsgarten Spätlese, die uns endgültig geschafft hatte? Oder der Regen und das Rheuma? Die Schuld- und Kausalketten ließen sich unendlich fortverfolgen.
Schneider im weißen Laborkittel kam mir in den nächsten Tagen öfter in den Sinn. Viel zu tun hatte ich nicht. Goedeke verlangte einen weiteren und ausführlicheren Bericht über den untreuen Filialleiter, und ein anderer Auftraggeber wandte sich an mich, weil er nicht wußte, daß er dieselbe Information vom Ordnungsamt hätte bekommen können.
Am Mittwoch, mein Arm war auf dem Weg der Besserung, konnte ich endlich meinen Wagen vom Parkplatz der RCW zurückholen. Das Chlor hatte den Lack angegriffen, das würde ich auf die Rechnung setzen. Der Pförtner begrüßte mich und fragte, ob der Kuchen geschmeckt habe. Ich hatte ihn am
Weitere Kostenlose Bücher