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Selbs Justiz

Selbs Justiz

Titel: Selbs Justiz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schlink
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Päckchen richten lassen?«
    »Für wie viele Personen darf es denn sein?« Sie deutete einen ironischen Knicks an.
    »Wenn Sie Zeit haben, für zwei.«
    »Oh, das geht nicht. Aber ich lasse Ihnen trotzdem was für zwei einpacken. Einen Moment.«
    Sie verschwand durch die Schwingtüren. Als sie wiederkam, hatte sie einen größeren Karton dabei. »Sie hätten das Gesicht unseres Küchenchefs sehen sollen. Ich habe ihm sagen müssen, daß Sie sonderbar, aber wichtig sind.« Sie kicherte. »Weil Sie mit Herrn Generaldirektor gegessen haben, hat er von sich aus noch eine Forster Bischofsgarten Spätlese dazugelegt.«
    Als Frau Buchendorff mich mit dem Karton sah, zog sie die Augenbrauen hoch.
    »Ich habe die chinesische Sicherheitsexpertin eingepackt. Haben Sie nicht gesehen, wie klein und zierlich sie ist? Der Delegationsleiter hätte sie nicht mit mir gehen lassen.«
    Mit ihr fielen mir immer nur blöde Witze ein. Wäre mir das vor dreißig Jahren passiert, hätte ich mir eingestehen müssen, daß ich verliebt bin. Aber was soll ich davon in einem Alter halten, in dem ich mich nicht mehr verliebe?
    Frau Buchendorff fuhr einen Alfa Romeo Spider, einen alten ohne häßlichen Heckspoiler.
    »Soll ich das Verdeck zumachen?«
    »Normalerweise fahre ich auch im Winter mit Badehose Motorrad.« Es wurde immer schlimmer. Zu allem Überfluß nun auch noch ein Mißverständnis, denn sie schickte sich an, das Verdeck zuzumachen. Und nur, weil ich mich nicht getraut hatte zu sagen, daß es für mich nichts Schöneres gibt, als in einer lauen Sommernacht mit einer schönen Frau am Steuer eines Kabrioletts unterwegs zu sein. »Nein, lassen Sie, Frau Buchendorff, ich fahre gerne in einer lauen Sommernacht im offenen Sportwagen.«
    Wir fuhren über die neue Hängebrücke, unter uns Rhein und Hafen. Ich sah hinauf in den Himmel und in die Seile. Es war hell und sternenklar. Als wir von der Brücke abschwenkten und ehe wir in die Straßen eintauchten, lag für einen Moment Mannheim mit seinen Türmen, Kirchen und Hochhäusern vor uns. Wir mußten an einer Ampel warten, ein schweres Motorrad hielt neben uns an. »Komm, wir fahren noch zur Adria«, rief das Mädchen auf dem Rücksitz ihrem Freund gegen den Lärm der Maschine in den Helm. Im heißen Sommer 1946 war ich oft an dem Baggersee gewesen, in dessen Namen die Mannheimer und Ludwigshafener ihre Sehnsucht nach dem Süden gelegt haben. Damals waren meine Frau und ich noch glücklich, und ich genoß die Gemeinsamkeit, den Frieden und die ersten Zigaretten. Da fuhr man also immer noch hin, heute rascher und leichter, nach dem Kino ein kurzer Sprung ins Wasser.
    Wir hatten die ganze Fahrt nicht gesprochen. Frau Buchendorff war schnell und konzentriert gefahren. Jetzt zündete sie sich eine Zigarette an.
    »Die blaue Adria – als ich klein war, sind wir manchmal mit dem Opel Olympia rausgefahren. Es gab Malzkaffee aus der Thermosflasche, kalte Koteletts, und im Weckglas hatten wir Vanillepudding dabei. Mein großer Bruder war, was man einen Halbstarken nannte; mit seiner Victoria Avanti ging er schon eigene Wege. Damals fing die Mode an, nachts noch rasch zum Baden zu fahren. Es kommt mir alles so idyllisch vor, wenn ich heute dran zurückdenke – als Kind habe ich immer gelitten auf diesen Ausflügen.«
    Wir waren vor meinem Haus angelangt, aber ich wollte die Nostalgie, die uns beide gepackt hatte, noch ein wenig auskosten.
    »Warum gelitten?«
    »Mein Vater wollte mir das Schwimmen beibringen, hatte aber keine Geduld. Mein Gott, was habe ich Wasser geschluckt damals.«
    Ich dankte ihr fürs Nachhausebringen. »Es war eine schöne Fahrt durch die Nacht.«
    »Gute Nacht, Herr Selb.«

11
Scheußliche Sache, das
    Mit einem strahlenden Sonntag verabschiedete sich das schöne Wetter. Beim Picknick an der Feudenheimer Schleuse aßen und tranken mein Freund Eberhard und ich viel zuviel. Er hatte ein Holzkistchen mit drei Flaschen sehr ordentlichem Bordeaux dabei, und wir machten den Fehler, danach noch die RCW -Spätlese zu leeren.
    Am Montag wachte ich mit flammendem Kopfschmerz auf. Dazu hatte mir der Regen das Rheuma in Rücken und Hüften getrieben. Vielleicht bin ich auch darum mit Schneider falsch umgegangen. Er war wieder aufgetaucht, nicht vom Werkschutz gefunden, sondern einfach so. Ich traf ihn im Labor eines Kollegen; sein eigenes war bei dem Unfall ausgebrannt.
    Als ich in den Raum kam, richtete er sich vor dem Kühlschrank auf. Er war von hohem Wuchs, hager. Er lud mich mit

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