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Selbs Justiz

Selbs Justiz

Titel: Selbs Justiz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schlink
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und beugte mich rüber, um einen Blick auf das Haus zu werfen. Durch schmiedeeisernes Gitter und verwilderten Garten sah ich auf den Balkon im ersten Stock. Frau Buchendorff und Mischkey küßten sich.
    Daß ausgerechnet die beiden etwas miteinander hatten! Es paßte mir ganz und gar nicht. Jemand beschatten, der einen kennt, ist schon lausig, aber wenn man entdeckt wird, kann man eine zufällige Begegnung vortäuschen und sich damit leidlich aus der Affäre ziehen. Das geht natürlich grundsätzlich auch bei zweien, aber nicht hier. Würde Frau Buchendorff mich ihm als Privatdetektiv Selb oder Mischkey mich ihr als freien Journalisten Selk vorstellen? Wenn es zum Baden gehen würde, müßte ich draußen bleiben. Schade, ich hatte mich darauf gefreut und extra meine Bermudas eingepackt. Sie küßten sich innig. War da noch etwas, was mir nicht paßte?
    Ich setzte darauf, daß die beiden mit Mischkeys Auto fahren würden. Es stand schon mit offenem Verdeck da. Ich fuhr ein Stück weiter in der Rathenaustraße und parkte so ein, daß ich Gartentor und Citroën in meinen Rückspiegeln hatte.
    Nach einer halben Stunde fuhren sie an mir vorbei, und ich versteckte mich hinter der ›Süddeutschen‹. Dann folgte ich ihnen durch den Suezkanal zum Stollenwörth-Weiher.
    Er liegt im Süden der Stadt, und an ihm gibt es zwei Vereinsschwimmbäder. Frau Buchendorff und Mischkey gingen ins Postbad. Ich stand mit meinem Auto vor dem Eingang. Wie lange baden verliebte junge Leute heutzutage? Zu meiner Zeit am Müggelsee konnte das Stunden dauern, vermutlich hatte sich das nicht gravierend geändert. Ich hatte mit dem Baden zwar schon in der Rathenaustraße abgeschlossen gehabt, aber die Aussicht, drei Stunden im Wagen zu sitzen oder am Wagen zu lehnen, ließ mich nach einer anderen Lösung suchen. Ob man dieses Bad vom anderen einsehen könnte? Es war jedenfalls einen Versuch wert.
    Ich fuhr zum gegenüberliegenden Schwimmbad und packte in meine Badetasche das Zeiss-Fernglas. Ich habe es von meinem Vater geerbt, er war Berufsoffizier und hat damit den Ersten Weltkrieg verloren. Ich löste die Eintrittskarte, zog die Bermudas an und den Bauch ein und trat in die Sonne.
    Ich fand einen Platz, von dem aus ich das andere Bad einsehen konnte. Die Liegewiese war voll mit Familien, Gruppen, Paaren und Singles, und selbst unter den Muttis hatten einige den baren Busen gewagt.
    Als ich mein Fernglas aus der Tasche holte, trafen mich die ersten strafenden Blicke. Ich richtete es auf die Bäume, auf die paar Möwen, die es gab, und auf eine Plastikente auf dem See. Hätte ich nur meinen ornithologischen Atlas mitgenommen, dachte ich, damit könnte ich jetzt vertrauensbildende Maßnahmen versuchen. Kurz bekam ich das andere Bad ins Gesichtsfeld; was die Entfernung anlangte, hätte ich die beiden mit meinem Fernglas gut beschatten können. Aber man ließ mich nicht.
    »Schämen Sie sich!« sagte ein Familienvater, dem der Bauch über die Badehose und die Brüste über den Bauch flossen. Er und seine Frau waren das letzte, was ich mit oder ohne Fernglas anschauen wollte. »Wenn Sie nicht sofort aufhören, Sie Spanner, Sie, dann schlag ich Ihnen das Ding kaputt.«
    Es war absurd. Die Männer um mich herum wußten nicht, wo sie die Augen hinwenden sollten, sei’s, um alles, sei’s, um nichts zu sehen, und es ist wohl nicht zu altmodisch anzunehmen, daß die Frauen wußten, was sie taten. Und da war ich, den das alles nicht interessierte – nicht, daß es mich nicht hätte interessieren können, aber jetzt interessierte es mich wirklich nicht, jetzt hatte ich nur meinen Auftrag im Kopf. Und ausgerechnet ich wurde der Geilheit verdächtigt, angeklagt, überführt und schuldig gesprochen.
    Man kann solche Leute nur mit ihren eigenen Waffen schlagen. »Schämen Sie sich«, sagte ich, »bei Ihrer Figur sollten Sie wirklich ein Oberteil anziehen«, und steckte mein Fernglas in die Tasche. Außerdem stand ich auf und überragte ihn um Haupteslänge. Er ließ es bei mißbilligenden Mundbewegungen bewenden.
    Ich sprang in den Weiher und schwamm hinüber zum anderen Bad. Dort ging ich gar nicht erst an Land; Frau Buchendorff und Mischkey hatten sich nahe am Wasser in die pralle Sonne gelegt. Mischkey war gerade dabei, eine Flasche Rotwein zu öffnen. Das gab mir, so dachte ich, jedenfalls eine Stunde Zeit. Ich schwamm zurück. Mein Kontrahent hatte ein Hawaiihemd angezogen, löste mit seiner Frau Kreuzworträtsel und ließ mich in Ruhe. Ich holte mir

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